1. April 2004

Bomben auf Paris

 

Kleinteiliger geht es vermutlich nicht. Jedenfalls hat Céline mit diesem „Zauberstück für ein anderes Mal“ sein zerschreddertstes Buch geschrieben. 1952 und 1954 in zwei Teilen veröffentlicht (der zweite Teil unter dem bis zu dieser Ausgabe maßgeblichen Titel „Normance“), war ihm kein Erfolg beschieden. Es war der erste Text, mit dem Céline nach seiner Begnadigung im Jahr 1951 an die französische Öffentlichkeit trat. Er war immer noch der Autor der berühmten „Reise ans Ende der Nacht“ (1932), aber man mochte den Kollaborateur nicht, der die Öffentlichkeit überdies an die eigene unrühmliche Vergangenheit erinnerte.

„Féerie pour une autre fois“, der einzige bisher noch nicht ins Deutsche übersetzte Roman Célines – wenn man denn von Roman sprechen will –, ist kein Rechtfertigungstext. Im Gegenteil. Der Autor, mit sich selbst wie immer als Romanfigur, sieht sich als Opfer einer planetarischen Diffamierungskampagne, der er hilflos ausgeliefert ist und die er nur mit dem typisch Célineschen Übertreibungsritual bändigen kann.

Das scheint das Mittel gewesen zu sein, den ungeneigten Leser – der in der Mehrzahl war – auf seine, Célines, Seite zu ziehen. Aber es geht hier wie auch bei allen anderen „Themen“ des Buchs nicht um Argumente und um die Sicherstellung einer angemessenen historischen Perspektive, so subjektiv sie auch sein mag. Céline ist der einzige authentische Adept Buffons, nach dem der „Stil der Mensch selbst“ ist. Der Stil dieses Autors? Natürlich die drei Punkte. Bei Céline ist es keine Seltenheit, dass dreimal drei Punkte auf eine Zeile passen, garniert mit ein paar wie mit Punknadeln gesetzten Worten. Die drei Punkte und die Ausrufezeichen. Der Atem ist Beigabe, die Atemlosigkeit reagiert dieses Schreiben, von dem man jedoch nicht annehmen sollte, dass es chaotisch sei, einer automatischen Schreibe folge oder eine größtmögliche Verwirrung beim Leser hervorrufen soll. Man kann sich sehr gut einlesen in diese Sprache. Und man kann sich ja durchaus fragen, wie man am besten auf gut zweihundertfünfzig Seiten einen fiktiven Bombenangriff auf Paris schildern soll, wenn nicht mittels dieser synkopierten Optik, die allen Realismus für sich beansprucht und in jeder Sekunde mit einem sehr wahrscheinlich veränderten Wirklichkeitsausschnitt konfrontiert ist.

Bomben haben keinen langen epischen Atem. Was dann allerdings auf Seiten der getroffenen Hausbewohner an Unordnung zu registrieren ist, hat weniger mit unendlichem Mitleid und Betroffenheit des Autors zu tun, der den Krieg anprangert und sich schleunigst den Frieden herbeisehnt. Was und wie Céline schildert, liegt ganz auf der Seite von Groteske und Comic. Diese „Féerie“ ist ein einziger gigantischer Comic, über 600 Seiten lang. Allein die Figur des Jules, des Krüppels ohne Beine, der in seinem Wägelchen trotz allem souverän auf dem Dach herumkutschiert und den Bombenangriff der R.A.F. zu orchestrieren scheint, ist eine völlig aberwitzige Erfindung, die dem platten Naturalismus der Wirklichkeitseroberung durch Sprache gewissermaßen die Beine bricht. Diese Sprache hängt an einem Seil, und dieses Seil ist der artistische Sound Célines. Es gibt hier nichts anderes.

Insofern bildet dieses Buch einen krassen Gegensatz zum zig Stile vorführenden „Ulysses“ von Joyce. Satzfetzen fallen wie Bomben. Ohne Unterlass. Und doch greift dieser Vergleich zu kurz, auch wenn Céline selbst damit spielt. Dieser Stil führt, auch ohne Bomben, sein eigenes Leben. Er ist eine Dauerinitiation. Die Frage ist dann, wie lange man sich ihr aussetzen möchte. Keine Frage ist, dass dieses Buch eine Zumutung ist. Und es ist kein Zufall, dass man es noch nicht übersetzt hat. Dieses Buch ist das Letzte, das man von Céline lesen möchte. Es ist seine Quintessenz.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=1>Céline, Féerie pour une autre fois, Paris 1995</typohead>