10. März 2004

Selbstauflösungen

 

Bei Carl Schmitt zeigt sich, wer abstrahieren kann. Dazu gehörte auch Jürgen Habermas, der Schmitt „den klügsten und bedeutendsten deutschen Staatsrechtler“ des 20. Jahrhunderts nennt. Man muss die antijüdische Einstellung einklammern, die sich vor allem in Schmitts postum erschienenem „Glossarium“ artikuliert: „Als wir uns uneins waren, haben die Juden sich subintroduziert. (...) Spinoza war der erste, der sich subintroduzierte.“ (Eintrag vom 12.1.1950)

Warum eigentlich dieser dämliche Neologismus? Wahrscheinlich klänge „sich einschleichen“ weniger perfide. Man muss einklammern, was das Christentum für Carl Schmitt bedeutete, nämlich ein absolutes Ereignis: „Die Christenheit ist in ihrem Wesenskern keine Moral und keine Doktrin, keine Bußpredigt und keine Religion im Sinne der vergleichenden Religionswissenschaft, sondern ein geschichtliches Ereignis von unendlicher, unbesitzbarer, unokkubierbarer Einmaligkeit. Es ist die Inkarnation in der Jungfrau.“

Wer das fassen kann, fasse es, festhalten kann man immerhin, dass für Schmitt alle wichtigen juristischen Termini abgeleitete theologische sind. Von daher sind für ihn theologisch-juristische Analogien das Selbstverständlichste auf der Welt. In der „Politischen Theologie“ heißt es: „Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.“ Da muss er sich dann aber wirklich nicht darüber wundern, dass liberale Staatstheoretiker mit dem Ausnahmezustand nichts mehr anfangen können. Man muss davon abstrahieren, dass Schmitt ein seltsames Verständnis von Demokratie hat: Diese hat weniger mit Abstimmung zu tun, was auch immer zur Abstimmung kommt, sondern vielmehr mit einem „volklich“ verstandenen homogenen Feld der „Artgleichheit“; Juden hätten in einer deutschen Demokratie nichts verloren gehabt. Wie viel weniger – wenn das noch möglich wäre – unter Hitlers von Schmitt affirmierten Großraumprojekten im europäischen Osten.

Dieses Demokratieverständnis hat damit zu tun, dass der für unsere Ohren mit Demokratie eng verschränkte Begriff der Repräsentation bei Schmitt bereits von der Regierungsform der Monarchie reserviert ist: im Monarchen repräsentiert sich kein Volk, sondern die civitas dei, also das Christentum. In der Demokratie ist alles mit sich selbst identisch, bis auf das in dieses Modell nicht passende Parlament, das von Schmitt als ein aristokratischer Fremdkörper verstanden wird. Das Parlament ist kein Repräsentations-, sondern ein unvermitteltes Herrschaftsinstrument. Und wenn dieses kein wirklicher Souverän mehr ist, dann hat man auch keinen Staat mehr vor Augen.

So hat sich jedenfalls für Schmitt das Ende der Weimarer Republik dargestellt, das zwei Verfassungen in einer, drei Gesetzgeber hatte und daran zugrundegegangen ist. Schmitts Schrift „Legalität und Legitimität“ von 1932, die die Weimarer Agonie vor- und zugleich hellseherisch nachzeichnet, kann man äußerste Klugheit in der Tat nicht absprechen, das ist zum selber denken anregende, also aufklärerische Dekonstruktion avant la lettre. Rein immanent macht er auf die Fehlkonstruktionen dieser Verfassung aufmerksam, die im Moment der Not, also im Ausnahmezustand, den aber „Weimar“ nicht mehr selbst erklären konnte, von den Feinden der Republik gnadenlos beseitigt wurden.

Reinhard Mehring hat sich in dieser sehr dichten, aus seiner Dissertation über Carl Schmitt extrahierten, und zugleich äußerst spannend zu lesenden Einführung vor allem mit Schmitts Dekonstruktionen beschäftigt, die in ihrem Verlauf viel ambivalenter sind als zahlreiche (Text-)Handlungen Schmitts, und die vor allem zeigen, dass Klugheit alleine sich auch gleich wieder selbst abschaffen kann.

 

Dieter Wenk

 

Reinhard Mehring, Carl Schmitt – zur Einführung, Hamburg 1992 (Junius)