14. Dezember 2023

Ich muss heute noch schmunzeln



Ein sympathischer Hybrid aus Text und Grafik ist Rao Pingrus Unsere Geschichte, ein Memoir, das der Autor in hohem Alter verfasste und eigenhändig mehr-als-illustriert hat. Tatsächlich sind seine Zeichnungen, aquarelliert, mit eingehenden Beischreibungen, Listen und auch Sprechblasen wie in einer Graphic Novel versehen, außergewöhnlich. Im Kern geht es um das lange Leben zu zweit von Pingru und Meitang, durch eine wechselvolle, entbehrungsreiche Lebensgeschichte in China, von den Anfängen der japanischen Besatzung über den Bürgerkrieg, die Gründung der Volksrepublik und deren Stoßrichtungen bis in das betagtere Alter der Protagonist:innen, denen nicht vergönnt ist (u.a. wegen Krankheiten), jenes ganz & zusammen auszukosten. Dennoch ist der Tonfall von Rao Pingru, der das Werk vor knapp 15 Jahren verfasst hat, an keiner Stelle wehleidig, klagend oder vorwurfsvoll. Wehmütig, ja. Doch über den Fluss des Ganzen, besonders vermittels der eingestreuten Gedichte und Zeichnungen, scheint sich eine erstaunliche Lebenskraft zu offenbaren, der nicht Arbeitslager, nicht wiederholter Ruin, Entlassungen, nicht Odyssee, nicht Trennungen, nicht Demenz etwas anhaben konnte – nur der Tod Meitangs, der nun mit vorliegender (Trauer)Arbeit in ein Werk umgesetzt wird.
Allgegenwärtig leuchtet ein leiser, beinahe bescheidener Humor auf: „traditionelle Spiele spielen, wie die Hochzeitsnacht stören“, „... mit der Zeit wurde auch ich schließlich kurzsichtig. Von da an war ich mit Meitang endlich synchron“, „es kamen auch zwei mexikanische Filme, die überhaupt nichts taugten“, kleine-große Credos: „Es sind oft winzige Kleinigkeiten im Leben,/ die bei uns einfachen Leuten aus gar keinem/ bestimmten Grund tiefe Spuren hinterlassen/ und im Lauf der Zeit zu wertvollen Erinnerun-/ gen werden.“


Anschauliche Bilder gelingen Rao über den Bürgerkrieg: „Zu der Zeit waren die Fahrpläne der Eisenbahn bereits ziemlich durcheinandergeraten.“ Über seine Zeit im Arbeitslager: 20 Jahre mithilfe Briefen, Flicken, Lebertran, Ratschlägen von Meitang und eigener Pfiffigkeit überstanden, wie z.B. durch das stille Fideln-Üben mitten im vollen Schlafsaal auf einem aufgemalten Griffbrett. Auch wenn zwischen den Zeilen ziemlich offensichtlich vieles problematisiert wird, der Konflikt der Klassenzugehörigkeit/ Herkunft, die ihnen feindliche gesonnene Politik, Diebstahl, Pech(s), die Krankheiten, ist es doch der beinahe kindliche Findungstrieb Raos, der sich vor allem in den Zeichnungsserien offenbart, „Seinen kleinen Erfindungen“, der „Dialyse zu Hause“, die „Was tun in welcher Reihenfolge und mit welcher Technik“-Handgrifftafeln, die den praktischen Weiterleben-Sinn-trotz-allem unterstreichen. Ein Mut machendes Buch in dieser Hinsicht, könnte man sagen, auch wenn das Fazit, mehrfach beschworen in Lyrik und Traumbildern, lautet, dass es ihnen eben nicht vergönnt war, ihren Traum zu leben.


Von Eva Schestag zurückgenommen auf den Punkt übersetzt, besitzt diese Ausgabe nicht nur ein nettes Geleit von Kristof Magnusson, ein paar Begriffserklärungen, sondern auch eine Serie Briefe Meitangs an den Autor, sozusagen als kleiner Gegenstimmpart zum Bild der auf ewig Untrennbaren. Hier ist auffällig, in wie vielen verschiedenen Varianten Meitangs Formel „Es geht uns gut, mach Dir keine Gedanken“ / „Bald mehr!“ auftritt. Wie grundsätzlich das Alltägliche, Essen, Wetter, Erziehung, eine Hauptrolle im Buch spielt.


Ist das nun Literatur oder Leben oder beides oder keins von beidem oder etwas Drittes? Ganz sicher ist die Lust am Erinnern auf inspirierende Weise, und das zweifach in Wort und Bild, direkt wie unverstellt festgehalten worden in diesem Werk, das auf seine Weise auch ein Stück Freiheit des Ausdrucks findet zwischen den Buchdeckeln.

Jonis Hartmann


Rao Pingru: Unsere Geschichte, Matthes & Seitz Berlin, 2023