Gerrit Frohne-Brinkmann: Earmouse
Die Veröffentlichung der Forschung zur Earmouse von 1997 war eine gewebezüchterische Sensation (es war wohl ein ganzes Rudel solcher Mäuse von Nöten, deshalb hat die Maus keinen Eigennamen wie etwa Dolly, sie heißt auch Vacanti-Maus, nach ihrem Miterfinder Joseph P. Vacanti).
Die Earmouse war unheimlich, da ein menschliches Ohr auf dem Rücken einer Maus »wuchs«. Dieses Gewächs konnte nicht hören, war aber unverkennbar eine hochartifiziell geformte Ohrmuschel. Die Maus war der Bioreaktor für dieses nichthörende Ohr, ein lebendes Medium was ein »Ersatzteil« bis zu seiner Verwendung spazieren trägt. (Dies bedeutet den Tod des Mediums, was im Fall des Ohrs nicht notwendig wäre, diese Tiere werden aber »verbraucht«.)
Stelarc, ein zypriotisch-australischer Künstler ließ ab 2006 über 10 Jahre lang, von einigen Operationen begleitet, ein linkes menschliches Ohr auf seinem Arm wachsen.
Stelarcs Absicht war es, das Ohr mit dem (damals noch recht neuen) Internet zu verbinden und es so weltweit »senden« zu lassen, was es an dem Ort »hört«, an dem sich sein Medium – der Künstler Stelarc – aufhält. Auch dieses fleischige Ohr konnte nicht hören (war aber mit einem technischen Aufnahmegerät ausgestattet, das Ohr drum herum war »nur« Kunst).
In der Ausstellung von Gerrit Frohne-Brinkmann tummelt sich eine große Familie keramischer Mäuse auf dem Fußboden. Sie sind haarlos, rosa wie nackte Vacanti-Mäuse und alle tragen ein menschliches Ohr auf dem Körper, es scheint sie nicht zu stören.
Drei Mäuse sitzen in übergroßen Muscheln, keramischen Fantasien von Meeresschnecken, an der Wand. Von dort tönt ein weißes Rauschen, es ist nicht die Muschel, die rauscht, sondern die Maus, besser wohl die menschliche Ohrmuschel auf dem Rücken der Maus, die hier, wie bei Stelarc in umgekehrter Richtung, ihrer bekannten Aufgabe weißes Rauschen sendet und nichts empfängt.
Medial ist bei Ausstellungen von Gerrit Frohne-Brinkmann stets mit einigen Gangart- und Richtungswechseln zu rechnen. Keramische Formen, die stark unterschnittig sind, lassen sich nur mit großem Geschick modellieren, ein menschliches Ohr als Form ist maximal kompliziert, sei es als Skulptur oder als Ersatzohr (Ohren werden, weil sie so kompliziert zu modellieren sind, mittlerweile tatsächlich wie bei Stelarc am Körper der Patienten nachgezüchtet).
Verglichen mit dem nachgezüchteten Ohr, was nichts hört, ist eine Form wie die einer Meeresschnecke ebenso nervig zu modellieren, eben wegen dieser Unterschnittigkeiten. Als keramischer Hohlkörper erzeugt die Form dann aber zweifellos das bekannte Geräusch, das Meeresrauschen der Muscheln.
Dieses Rauschen – es ist nie die eingefangene Aufnahme eines Südseeurlaubs oder das eigene Blut, was man rauschen hört – entsteht, weil die Muschel die Umgebungsgeräusche aufnimmt, verstärkt und wieder nach draußen sendet.
(Wieder in umgekehrter Richtung zur menschlichen Ohrmuschel, die aufnimmt, und wenn sie denn hören kann, nach innen zum Gehirn weitergibt.)
Die keramischen Earmäuse, die in den Meeresschnecken sitzen, also die drei, die das weiße Rauschen versenden, sind über ihre sehr langen Schwänze an der Elektrokabelage hinter der Fußleiste angeschlossen. Alle anderen Mäuse haben normal mauselang abgeschnittene Kabel-Schwänzchen.
Funktechnologie auf jedem Schreibtisch war zu Earmouszeiten 1997 noch nicht durchgesetzt (die Computermaus mit Kabelverbindung zum Rechner war aber bereits ab Mitte der 80er eine der wichtigen Mensch-Maschine-Schnittstellen). Die Computermaus heißt sicher so, weil sie damals einen Kabelschwanz hatte (hätte sie damals bereits wegen Funkverbindung keinen Schwanz gehabt, hätte man sie vermutlich Hamster genannt).
Seit Jahrzehnten forscht die Transplantationsmedizin an den Möglichkeiten, wie Tiere zu Bioreaktoren für funktionierende Organe werden können (also nicht nur als Träger tauber, rein dekorativer Ohren dienen). So tragen spezielle, genetisch manipulierte Schweine transplantierbare Herzen spazieren, mit dem entscheidenden Unterschied, dass dieses Herz zuerst für das Schwein arbeitet und nicht irgendwo auf dem Rücken des Schweins als Extraposten wächst.
Die Transplantation eines Schweineherzens in einen menschlichen Patienten 2022 schien zuerst zu glücken, scheiterte aber nach zwei Monaten. Wann auch immer das gelingen wird, eine Xenotransplantation wirft für die Forschenden und für die Patienten die irrsten Fragen auf. Kann ein Mensch muslimischen Glaubens mit einem Schweineherz leben? Kann eine vegan lebende Person ein Schweineherz annehmen? In Vorbereitung der Xenotransplantation eines Herzens (2022) wurden etliche Gespräche mit religiösen Oberhäuptern diverser Konfessionen geführt, die das gerettete Menschenleben stets über das Tierwohl stellten.
Die Earmouse des Jahres 1997 brachte viele erbitterte Wissenschaftsgegner auf den Plan, die »gottes Schöpfung« in Gefahr sahen, und in einem menschlichen Ohr auf dem Rücken einer Maus den Inbegriff der Zombification, die monströse Selbstüberschätzung der Medizin zu erkennen glaubten.
Eine verzerrte Spiegelung durch die Jahrzehnte zeigt uns eben diese Menschen als sogenannte »Impfgegner«. Ihnen erscheint das (weiße) Rauschen des Internets als Rauschen ihres Bluts, ihres eigenen, heiligen Körpers, eine Überzeugung, die sie – mit einer mittlerweile kabellosen Computermaus im WWW herumklickend – gerne nach außen versenden, im Glauben, es sei ihr eigener Gedanke, der da tönt, sie sind aber nur eine die Außengeräusche verstärkende Hohlform, wie bei einer Muschel (oder eines einfachen Hohlkopfs).
Nora Sdun, März 2022
Gerrit Frohne-Brinkmann: Earmouse
ABC (ABC-Straße 44–46, Hamburg)