13. Juni 2021

Modelle


Der schöne Sommer ist Cesare Paveses formal ambitioniertestes Werk, es handelt sich um tatsächlich drei Romane, als Trilogie serviert. Durch ihre Kürze könnte man sie auch als drei längere Novellen bezeichnen, doch Pavese besitzt die Benennungskompetenz. Zuvor sind sie bereits als Einzelausgaben erschienen, verstreut seit den 1960er Jahren. Ihren Bezug zueinander erhalten sie durch das wie immer verbindende Turiner Element, die Stadt und ihre Umgebung, die ihre Protagonist:innen hauptsächlich entleert durchstreifen, von Konventionen wie Traditionen gleichermaßen eingekreist – oft in Richtung existenzieller Feststellungen gedrängt: „Meine Arbeit besteht darin, mich nicht zu bewegen.“
Maja Pflugs starke Reihe an Neuübersetzungen Paveses im Rotpunktverlag wird hiermit fortgesetzt. Doch entgegen den dortig erschienen vorherigen Werken von ihm, die sämtlich in den letzten zehn Jahren vor seinem Suizid 1950 entstanden sind, bleiben alle drei Romane aus Der schöne Sommer ein wenig hinter der Dringlichkeit und „amerikanisch nüchternen“ Vehemenz seiner Kurzsyntax der Vorgänger zurück. Ihre (Anti-)Held:innen sind hier viel weniger politisch oder gar engagiert, sie sind vielmehr „Modelle“ einer jenen ausgebombten Generation der italienischen Nachkriegszeit, deren unterbrochene Bürgerlichkeit direkt ins Nichts zu führen scheint. Es fehlt den Texten an hart kontrastierenden Bildern. Das Milieu ist zurückhaltend. Nur leicht ihrer Zeit voraus in den vorsichtig eingestreuten homoerotischen Beziehungsandeutungen, „Sie streichelte ihr Knie, wie man eine Flamme berührt“ aus dem Titelroman, und der Ich-Perspektive im letzten Roman Die einsamen Frauen der Clelia, die als Schneiderin ein Geschäft versucht aufzubauen – doch hier bleibt es durchaus spekulativ. Der mittlere Roman Der Teufel auf den Hügeln über eine ländliche Ausfahrt der Städter nach Piemont wirkt ebenfalls eher wie eine Stilübung Paveses zwischen den „größeren“ Romanerzählungen, zurückgenommen, flüchtig.
Herausragend bleibt die formale Ambition des Werks, hier zum ersten Mal versammelt in ihrer ursprünglichen Intention, und das sehr lange Nachwort von Natalia Ginzburg über Pavese, dessen traurige Exzentrizitäten („der hässliche Schal“), ein Autor, „der nie schläft“ und sich den meisten „gängigen“ Konventionen verweigert, das diese Trilogie abrundet, sie zu einem mehrgleisig verschlungenen Selbstporträt-mit-Porträt eines verkriselten Komplexiers seiner Zeit macht. In der Rezeption Paveses gilt Der schöne Sommer als Hauptwerk, mit Premio Strega ausgezeichnet, ein endgültiger Durchbruch vor dem großen Was-dann, dem Selbstmord, den auch eine der einsamen Frauen wählt.

Jonis Hartmann

https://rotpunktverlag.ch/buecher/der-schone-sommer

Cesare Pavese: Der schöne Sommer, Rotpunkt, Zürich 2021