12. April 2021










ACAB / Shorts / Tattoo. Als Kombination schwer zu konstruieren. Leben schlägt Kunst.







Nach Spielabbrüchen wegen Schmähungen gegenüber Dietmar Hopp, einem Fußballmäzen, kam es zu Modifikationen des auf Bannern und in Sprechchören geäußerten Schimpfworts. Aus »Hurensohn« wurde zuletzt sehr elegant »Sohn einer Mutter«.











Der Hund ist sehr schön pastellfarben, so pastellfarben wie weiße Kampfhunde eben sein können

Aleen Solari, Direct Into Chaos

Aleen Solari, Direct Into Chaos

ISBN 978-1-9160634-8-8
Format: 168 × 237 mm
Montez Press, 2020
160 Seiten
18 Euro

Aleen Solari und Nora Sdun im Gespräch über das 2020 bei Montez Press erschienene Buch Direct Into Chaos. Hamburg, März 2021

Wir haben zwei Jahre an diesem Buch gearbeitet. Dabei hat am längsten gedauert zu überlegen, was man überhaupt machen will als Buch. Ich habe sehr früh entschieden, dass das ganze Buch ohne Jahresangaben und nur mit wenigen direkte Ortsangaben auskommen muss. Zum einem, weil es ein Interview im Buch gibt mit einer Personengruppe, die abgehört worden ist, ihnen war es wichtig, anonym zu bleiben. Die Brisanz des »Schnüffel«-Paragrafen 129a ist nach wie vor aktuell und ich wollte nicht, dass man den Text liest und denkt, was in der Vergangenheit passiert ist abgeschlossen und wiederholt sich nicht. Außerdem sollen die Bilder für sich sprechen, es gibt also keinen Text oder eine Jahreszahl, die vom Bild ablenkt. Der Grafiker Max Prediger wusste das alles und so haben wir beschlossen, die Dateinamen als Bildunterschriften zu verwenden. Das titelgebende Chaos wird damit beiläufig gleich mittransportiert, denn natürlich gibt es Kolleg:innen, die ihre Dateien säuberlich nummerieren und beschriften, mach ich aber nicht.

Es gibt verschiedene Texte in dem Buch, das eben schon genannte Interview, aber auch eine halbfiktive, sehr amüsante biografische Einlassung. Man merkt die Übergänge von Fiktion zu tatsächlicher biografischer Begebenheit jeweils, so ist Bielefeld natürlich keine Fiktion, aber wenn auf einer fernen Insel ein unheimlicher Jugendclub beschrieben wird, ist es Fiktion. Die Schilderung von Abläufen beim Aufbau von Gruppenausstellungen ist wiederum keine Fiktion – so einen Scheiß muss man sich gar nicht ausdenken, das passiert wirklich, (wer nicht zur Kunstszene gehört, könnte das allerdings auch für Fiktion halten). Interessant an solchen Vorfällen ist, dass die einen ernsthaft fertigmachen, aber wenn man es aufschreibt, ist es wirklich komisch.

Die Texte und die Bilder im Buch sind nicht hämisch, obwohl man sich sehr gut lustig machen könnte über die Kläglichkeit von Jugendclubs oder jede Eigenart von Subkultur. Das passiert hier aber nicht. Es öffnen sich eher Gedankengänge in Richtung Neubesetzung von Gegenständen, Orten und Personen. So kann ich z. B. Aschenbecher für Kinder machen. Was in einem bürgerlichen Kulturkontext nicht geht, weil Kinder dort eben nicht rauchen. Und die Möglichkeit, dass sie es etwa doch tun, noch nicht mal in Betracht gezogen wird.

Hier wird also u. a. eine rosa, babyblaue Kitschwelt mit Aschenbechern zusammengeführt, wobei aber keine Kalauer oder eben Häme entsteht. Das resultiert aus einem Interesse für Soziologie, für aneinandergrenzende Gruppierungen, auch für politisch aneinander angrenzende Bereiche, und mein Ideal wäre, eine politische Kunst zu entwickeln, die nicht an ihrer eignen Ernsthaftigkeit erstickt.

Ich beobachte die Ästhetik des bekannten agitatorischen linken Politspektrums, misstraue dieser Ästhetik aber für die Kunst.

Ich glaube nicht, dass politische Kunst notwendig brutal und aggressiv erscheinen muss, auch wenn es um die Durchsetzung von radikalen Forderungen geht.

Das erklärt auch diese im positiv albernen Sinne Rosa- und Pastelltöne. Die zartfarbige Zuckerschicht liegt immer über allem, nicht nur in der Politik.

Auch das Buchcover ist ja babyblau und zartrosa … wobei der spruchstarke Titel Direct Into Chaos, dann albern und fremdartig in diesem soften Farbraum steht.

Albernheit ist anarchisch und für bürgerliche Kunst und Kulturkontexte eher bedrohlich, weil man mit der Albernheit die Würdeformeln der ganzen Branche gefährdet, wie generell alles Würdevolle von Albernheit zum Zusammenbruch gebracht werden kann.

Das Arrangement, was wir hier vor uns auf dem Tisch haben, Teelichter, goldene hartgekochte Eier, Marshmallows, seltsamer anderer Süßkram, dann aber auch Holzbrettchen, auf denen wir gleich ein wenig töpfern werden … ist extrem albern. Ja, ich würde auch gerne einen Töpferkurs für cis-Männer anbieten, es würde mich ernsthaft interessieren, trotz und wegen der Albernheit einer solchen Annonce.

Diese Keramikplatte, die hier vor uns steht, ist rosa und gelb und mehrmals eingeritzt. Wie zur eigenen Selbstvergewisserung vielleicht steht darauf »OK«. Etwa: Ich mach jetzt diese Platte, frag mich nicht warum, ich weiß es nicht, und ich schreib gleich mal »OK« drauf, damit das klar ist und keiner blöd fragt.

»Ok« ist auch angenehm unpathetisch. Befreit von jeder Bedeutungsschwere. Pathosvernichtend. Ich mag solche Äußerungen.

Auf der sprachlichen Ebene werden vor allem Satzfetzen, Trümmer von Slogans, Bruchstücke, zum Teil mit nachdrücklich manifesthafter Aussagekraft verwandt.

Wo auch immer man das Buch aufschlägt, springen einem diese anarchischen Objekte und Aussagen entgegen.

Bei einem Buch hat man ja die Möglichkeit in Aufnahmen hinein zu zoomen, sodass eine Person, die im hinteren Teil eines Raums sitzt, im Zoom zeigt, was für eine Boxershorts oben aus ihrer schwarzen Hose rausguckt. Im Buch kann man den Blick noch stärker lenken als in einer Ausstellung.

Noch mal die Shorts, die ist bedruckt mit vermummten Köpfen, deren rote Münder man sehen kann, darüber tätowiert auf dem unteren Rücken ein Kussmund und darüber dann »ACAB«, als Kombination ist das schwer zu konstruieren. Hier zeigt sich mal wieder there's nowt so queer as folk, oder Leben schlägt Kunst.

Ich schaue mir die Einrichtung von Jugendclubs mit dem gleichen Interesse an, wie die Garderobe von Fußballfans mit Stadionverbot. Genauso schaue ich mir auch die Slogans und Selbstvergewisserungsmethoden der verschiedenen Szenen an.

Und ich transferiere Szenen dann in Ausstellungskontexte. Ich misch die beobachteten Begebenheiten auch miteinander, nicht um jemanden zu ärgern oder die Kunstszene zu verarschen, oder in einem pädagogischen Aufklärungssinn, eher um die Ernsthaftigkeit der jeweiligen Szenen zu rammen. Um dann zu sehen, wie das aussieht und was passiert.

Wie kommt es zu der Vermischung von Nahrungsmitteln und sonstigen Artefakten? Hier sieht es ja jetzt aus wie ein Küchentisch in einer WG, wo seit drei Tagen nicht abgeräumt wurde, sondern immer wieder neu gefrühstückt wurde. Was notwendig zu so einem Durcheinander von Plastikverpackungen, abgelaufene Quarkdosen und getöpferten Quarkschüsseln und hartgekochten Eiern und Lollis führt. Dies hat auch wieder so eine angenehme Beiläufigkeit.

Wieder wird die Würde des klassischen Präsentationsmodus von Kunst von der Seite gerammt. Da hier wirklich nicht klar ist, was die Kunst ist und was in den Kühlschrank gehört.

Obendrein ist gar nicht gesagt, dass nicht der Joghurttopf genauso wichtig ist wie das Objekt, was möglicherweise stundenlang im Atelier bearbeitet wurde.

Man könnte das Paradox herausarbeiten. Keramik ist ja so eine Urkunstform, und wird sehr weihevoll überwölbt, von wegen Vor- und Frühgeschichte, Menschheitsgeschichte, griechische Amphoren weiß der Kuckuck ...

und nun sieht man hier ganz deutlich eine Weigerung, technische Fertigkeiten auszustellen und immer das unbeholfen linkische, dem technisch perfekten vorzuziehen (obwohl man sagen muss, dass man um so etwas wie eine solche Platte oder Schüssel herzustellen, ziemlich viel technisch wissen muss, sei es Brennbarkeit, Wanddicke, Glasuren etc., aber das sieht man als Laie nicht).

Ich werde ungern bei künstlerischer Meisterschaft ertappt. Ich finde das beleidigend, diesen Kunst-und-Können Konnex. Es sind keine Skulpturen, es sind Gebrauchsgegenstände, die sollen nur das sein, was sie sind, also z. B. eine Platte, um darauf Essen zu legen.

Wichtig ist dabei auch die Überlegung: Wo findet denn heute Kunst statt, die alle anschauen? Als Werbung für Nahrung, als Palme auf der Bounty-Verpackung, also als Sehnsuchtsproduktion, so eine Verpackung ist überhaupt nicht harmlos. Diese Dinge zusammengeführt, bringen die Nahrungsmittel automatisch in die Settings der Ausstellungen. 

Hilfreich, um diesen Meisterschaftskunstkönnen-Kram abzuschütteln, ist auch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, weil die dieses Professionalitätsgelaber nicht haben. Ich schaue mit Neid auf deren Unmittelbarkeit. Die töpfern sich eine Schale Pommes, und die nächste töpfert sich eine teure Armbanduhr.

Ich meine dabei nicht diesen Kitsch von wegen Kindermund bla bla, ich will als Künstlerin schon in die Staatsoper, aber mit der anarchischen Unbefangenheit von Laien. Und klar, das ist wieder ein Paradox. Auch weil man eben nicht laienhaft bleiben kann, wenn man so was zehn Jahre macht, aber schnell arbeiten z. B. hilft auch, nicht herumkünstlern.

Doch noch mal was zur Technik, ich mach das jetzt zehn Jahre mit der Keramik und muss sagen, es gibt definitiv andere Materialien, die man sehr viel besser beherrschen kann. Ton lässt man neun bis zwölf bis vierzehn Stunden bei sehr hohen Temperaturen allein, und man kann den Prozess, der in dem Ofen passiert, nicht überwachen und nur bedingt steuern.

Das Material ist sehr eigenmächtig, weshalb diese Platte einen Riss hat. Ein Keramiker würde entscheiden, dass das kaputt ist, ist es aber nicht.

Zu den Menschen, die in den Ausstellungen auftauchen. Ich mag den Begriff Performance nicht so gerne, obwohl mir klar ist, dass das eben die Genrebezeichnung dafür ist, wenn heutzutage Menschen in der bildenden Kunst auftauchen.

Ich hätte auch da lieber eine Gleichberechtigung, also die Dinge sind genauso wichtig wie die Menschen, vielleicht kann man sagen, ich behandele Menschen in meinen Ausstellungen eher wie Skulpturen, als Teile einer Installation eben.

In der Hamburger Kunsthalle habe ich zwei pensionierte Polizisten in die Ausstellung gesetzt, die dort das taten, was man als Pensionär eben tut: Tee trinken, Zeitung lesen. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, man kann sich das anschauen wie ein Bild.

Wenn ich Personen integriere, liegt der Fokus oft beim Leerlauf, beim Warten, z. B. weil man einen gebrochenen Arm hat und nicht arbeiten kann oder bei der Vorbereitung zu einem Auftritt oder es sind eben Leute mit Stadionverbot, die auf den Fußboden spucken und Energydrinks zu sich nehmen.

Der Hund, den man auf den Bildern im Buch sieht, ist auch nicht dressiert fürs Foto, auch hier wieder die Beiläufigkeit, es war einfach da. Der Hund ist natürlich auch sehr schön pastellfarben, so pastellfarben wie weiße Kampfhunde eben sein können (wieder ein Paradox).

Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich diese Gang von Keramik-Tieren, die sich der Hund anschaut, gerne mit lebenden Tieren realisieren, jetzt ist zumindest ein lebendes Tier dabei.

Mich fasziniert die minimale Codierung der Gegenstände, Kleidungsstücke der Personen, winzige Elemente machen deutlich, dass sie Teil der Ausstellung sind und kein zufälliger Besucher. Klar, Fußballfans, die Stadionverbot haben, trifft man normalerweise nicht in Kunstvereinen an. Obwohl junge Erwachsene mit schwarzen Kaputzenpullis könnte man schon dort antreffen.

Aber die Kombinatorik macht einen stutzig, es ist alles voll mit Codes, man muss die nicht lesen können, um zu verstehen, dass es sich um Codes handelt, aber es geht um die Unterscheidung, die Distinktion zwischen verschiedenen Gruppen. Die sich eben auch sichtbar über Codes (Schals, Halstücher, Kappen, Schmuck, Tattoos) voneinander absetzen.

Und ja, es gibt Leute in meinem Umfeld, die können diese Codes in den Ausstellungen lesen, aber die Kunst-Leute, die typischerweise die Ausstellungen ansehen, können das nicht. D. h. so eine Arbeit steht dann in einem White Cube, einer Sorte Raum, in dem sich nur eine relativ kleine Gruppe von Menschen gut auskennt oder dafür ausgebildet ist, und stehen dann vor einer Arbeit, die aus Codes besteht, die ein normaler Fußballfan sofort und vollständig auslesen könnte, ein Fußballfan fühlt sich aber wiederum in einem White Cube vermutlich unbehaglich. Da ist wieder diese Spannung, die diese minimalen Unterschiede machen.

Und auch hier geht es um Gleichberechtigung, trotz dieser ganzen ausgefeilten Abgrenzung. Nicht zuletzt auch die Gleichberechtigung bei der Beschäftigung mit Kunst. Ich frage mich immer wieder, warum Kunst so schwer vermittelbar ist, selbst bei Leuten, die ständig ins Museum gehen, gibt es kein Verständnis für zeitgenössische Kunst.

Ich mag die Vermischung der Kontexte, also das Kunstwerden von Personen, die immer sagen würden, »versteh ich nicht diesen Kunstkram«. Ich kann dann sagen, »macht nichts«, die Gäste der Ausstellung wissen es auch nicht, denn darum geht es nicht, es geht nicht um Bedeutungsschwere. (Die man natürlich überall hindichten könnte und was leider auch dauernd gemacht wird.)

Man hat also den ganzen Tag mit Pathosvernichtung zu tun. Ich misstraue der hehren Kunst, ihrem Pathos, will aber alle einladen, sich Kunst anzueignen, sich damit zu befassen, gerade weil sich im Kunstfeld unglaublich viele Dinge kombinieren lassen, die sonst nie miteinander in Kontakt kämen.

https://montezpress.com/catalogue/books/direct-into-chaos/