31. Januar 2021

Eß ist ein fleischern Stein



Im Fachverlag für Horizonterweiterung Reinecke & Voß erscheint dieser Tage das Gesamtwerk von Sibylla Schwarz neu. Die über lange Zeit (absichtsvoll) vergessene und aus dem Kanon gedrängte Dichterin aus Greifswald („mein ander Jch ist fort“) war früh zu einer eleganten wie gerühmten Werkpersönlichkeit des Barock geworden. Als sie 17-jährig starb, wurde ihr teils in Fragmenten überliefertes Werk in lediglich schwach editierten Auflagen herausgebracht, wenn überhaupt, bis es fast nur noch als Mythos existierte („O Blödigkeit / Ey Phoebus“). Zum 400. Geburtstag Schwarzens gibt Michael Gratz eine kritische Edition heraus, die durch Detailversessenheit fesselt, auch sympathische Schrulligkeit, wenn sich der Herausgeber „in die Fußnoten zurückzieht“, „unbekanntes Wort“ sieht, sich wacker ins Zeug legt für die Rehabilitation des schmalen Werks der Früh-Feministin und Kämpferin wider Feinde und Neider der Poesie.


Beeinflusst von Opitz schafft Schwarz mitten im Dreißigjährigen Krieg ein Genre-crossendes Œuvre aus unter anderem Sonetten, Widmungsgedichten, Dramatischen Dichtungen, programmatisch Spruchhaftem und dem Batzen sogenannter Fretow-Dichtungen, entstanden auf der Flucht vor den Schweden auf der gleichnamigen bäuerlichen Musen-Farm vor der Stadt (bis diese ebenfalls geschleift wurde):

Wenn wir sind auf unsrem Guht.
Hier ist alles stoltz und groß /
Hasen / Wildbrät gilt hier blos.
Da hergegen loben wir
Einen Kohl / ein gut warm Bier /
Einen Knapkäs und ein Ey
Jst bei uns der beste Brey
Käs und Butter / Milch und Fisch /
Fetter Speck auff unserm Tisch
Deucht uns besser als Confect /
Der in Städten lieblich schmeckt.

Frech und rhythmisch versiert spottet Schwarz auf den „unadelichen Adel“, dichtet auf ihre Freundinnen, bleibt schwer ausdeutbar hinter den Texten zurück. Aufgrund der Ambivalenz tat man sich inhaltlich schwer mit einigen Aspekten, überging das Nonkonformistische Schwarzens nur zu gern, nicht zuletzt in (noch) cis-männlicher Domäne. Mit der Widerveröffentlichung in unverpfuschter Textgestalt ändert sich endlich etwas in 2021.

Jonis Hartmann



Sibylla Schwarz: Werke, Briefe, Dokumente, Reinecke & Voß, Leipzig 2021

https://reinecke-voss.de/sibylla-schwarz-werke-taschenbuch