19. November 2020

ES FEHLT NUR DIE HARMONISCHE VERBINDUNG



Ein Festival der Analog-Technik könnte man den mit über achtzig Jahren Verspätung auf Deutsch erschienen Band Aircraft nennen, dessen Original 1935 bereits herauskam. Le Corbusier, seines Zeichens Maniker der Architektur zuzüglich einem äußerst rebellisch eingestelltem Output an Büchern, Streitschriften, Artikeln, Zeitungen und nie von seinem enormen Selbstbewusstsein verlassen, war beauftragt worden, Abbilder der neuen Luftfahrttechniken, speziell Fotos aus dem Flugobjekt heraus „vorzustellen“, zu propagieren in einem Dokumentationsband. Nichts lieber als das, hatte er zuvor mit „Augen, die nicht sehen“ eines seiner vielen Bonmots zur in seinen Augen inakzeptablen Lage der bauenden Menschheit in seinen kämpferischen Publikationen wie „Vers uns Architecture“ u.a. aus den 20er Jahren damit begründet, dass das unabweichbar eingetretene Maschinenzeitalter randvoll mit Ideen, Inspiration, Erfindungen und Möglichkeiten zum Neuen Bauen versehen sei und man nur „hinschauen“ müsse, besonders aus der neuen Vogelperspektive, um Adaptionen in größtem Maßstab aufs zeitgenössische Bauen anwenden zu können / zu müssen.
Das eröffnete zweierlei: dass Corbu selbst sehr wohl in der Lage war, trotz seines zuweilen blinden Fortschrittsglaubens und mitunter verheerenden Ideen ziemlich große und bedeutende Neue Architektur zu schaffen, damit tatsächlich auch ein über die Maßen neues, ungekanntes, profitables Raumgefühl zu komponieren – er war ein Raumkünstler – dass das nicht jedoch für die Epigonen, Mitfahrer, Nachäffer seiner und den späteren Generationen gilt, die stattdessen, selbst wiederum blind, brutalste Raummaschinen an die Stelle sehr wohl funktionierender historischer Architektur gesetzt haben / noch immer setzen. Das Vertauschen von Subjekt und Allgemeinheit gehört somit zu den fatalen manischen Kennzeichen Le Corbusiers, die besonders in seinen Publikationen und in extremem Maß in Aircraft an den Tag gelangen.
Das Buch ist ähnlich Marinettis präfaschistischen Gestalt-Gewalten ein glühendes Propagandainstrument, mittels sehr kühner Fotografie-Montagen auch grellste Bomberbilder, Flugzeugträger zu begrüßen, wie einen guten Engel der Lüfte. Der dann kaum vier Jahre später auch dafür sorgte, dass bei einem Bombenangriff die zusammengestellten Manuskripte jener geplanten deutschen Ausgabe dem Krieg zum Opfer fielen. Das Nachwort von Gerwin Zohlen bringt es auf den Punkt: „Den Enthusiasmus, die Begeisterung, die er hier offenbart, wird man heute wohl nicht mehr finden. So ist Aircraft ein Schlüsselwerk zum Verständnis von Le Corbusier sowie der modernen Mentalität, die in der industriegeschichtlichen Epoche den Blick auf die Städte und ihre architektonische Organisation prägte.“
Die typische Corbusier’sche Verschränkung von Bild und Parole, oft ungeordnet und wie ein wirres Ungewitter auf die Lesenden einprasselnd, verfehlt ihre Wirkung nicht. Poetisch, komisch und (zum Glück) lange her, finden sich Stellen wie das berühmte „Das Flugzeug klagt die Stadt an“ oder „Drei Typen von Spannrahmen, um im Rumpf des Flugzeugs die Verstrebungen des Motors zu befestigen. Poet, denke einen Moment über die Wahrheit dieser Objekte nach“.
Jüngst bei Wasmuth & Zohlen erschienen, in Originalsatz, Typografie usf. & einer weiteren Nachbemerkung zum Verhältnis des Einflusses der Flugzeuge auf großmaßstäbliche Planung, wie es Corbus Auge vorschwebte, am zweischneidigen aktuellen Beispiel Flughafen BER, schließt der Band einen weiteren publizistischen Kreis um das streitbare Werk einer Ikone der Moderne.

Jonis Hartmann



Le Corbusier: Aircraft, Wasmuth & Zohlen, Berlin 2020