25. Oktober 2020

Homogenous yet polymorphous


Zu älteren Zeiten nicht-demokratischer Staatsgebilde waren Eingriffe möglich, von denen heutige Stadtplaner womöglich träumen. Doch dass diese durchaus zugunsten des Éspace selbst gehen konnten, beweist die hauruckartige Dengelung von Paris durch Präfekt Baron Haussmann auf verblüffende Weise. Anders als Cerdà in Barcelona, der ebenfalls eine Metropole auf dem Reißbrett imaginieren sollte, ebenfalls gelungen im Sinne einer homogenen und doch merkwürdig polymorphen Struktur, ist es bei Haussmann bekanntermaßen kein additives Formen, sondern ein radikal subtraktives Graben / Treiben in die vorhandene gewachsene Stadtstruktur hinein gewesen. Seine Sicht- und Marschierachsen sind zwar eine militärisch begründete, das heißt knechtisch verwendete Bewerkzeugung von Raum: zum besser schießen, in Schach halten, am Blockaden errichten hindern, doch absurderweise ein von doppeltem Ertrag (Licht, Kanalisation, Orientierung, „komisch skulpturale“ Baukörperstatuen als Stadt-Verschnittmengen, Verjüngungen der Morphologie, Abkürzungen) gekennzeichneter Eingriff.

Wie Walter Benjamin im „Passagen-Werk“ ausführte, ist in der Tat die unvermutete Achse, die Beziehungen aufbaut, wo vorher keine waren, es sei denn für einen Vogel, für jegliches Flanieren eine der schönsten Ausbeuten. Haussmann mag ein Vertreter der Gewalt gewesen sein und sie auch angewendet haben, um ans Ziel zu gelangen, doch reiste in seiner Aktion das immanente geheime Zusatzziel mit, das er vielleicht selbst nicht wahrnahm, als eine Art Bevollmächtigter des Raums an sich zu agieren. Grosso modo: Etwas anderes hat sich über seinen Eingriff gelegt. Das organische Raster.

Reich dokumentiert, analysiert, nüchtern gezeichnet und kartiert gibt „PARIS HAUSSMANN“ des Herausgeberteams Jallon Napolitano Boutté einen kuratierten Überblick auf verschiedenen grafischen Untersuchungsebenen zum Thema Haussmannscher Stadterweiterung / -veränderung im 19. Jahrhundert. Mit Papierwechseln, Schwarzplänen, Straßennester-Schnitten, einer sehr konkreten Gebäudeanalyse der an sich einzigartig dichten Pariser Blockbebauung und einigen Fotoübersichten nebst CAD-Aufmaßen gewinnt man im Buch den Eindruck, dass Haussmanns Ideenreichtum an der Grenze zum Genialen operiert. In Vergleichen mit anderen gewachsenen dichten Städten wie Neapel, Chicago etc. und ihren Erweiterungen zeigt sich, dass auch in Zeiten von Energieeffizienz der Haussmannsche Gebäudetyp eine Cleverness in Licht und Luftaustausch an den Tag gelegt hat, von der man heute nur mit drei Behörden gleichzeitig gut-arbeitend, inklusive Architekt*in, reden dürfte. Bei Park Books ist der nun erweiterte Katalog zur Ausstellung im Arsenale Paris 2017 erschienen. Ein überzeugender Beitrag zu einem Thema, das in diesem Maßstab wohl schwer ein zweites Mal zur Debatte steht – oder doch? Dichte ist gewiss wieder ins Diskutable gerückt.

 

Jonis Hartmann

 

Jallon Napolitano Boutté: Paris Haussmann, Park Books Zürich 2020