9. September 2020

Homonormativität

Isometrische Zeichnung von Tom of Finland, von T.z.K.-Abo. No. 5
Tom of Finland, Fucking the World, 1976, Graphite on paper, 45.6 × 34.5 cm, Courtesy Galerie Judin, Berlin, © TOM OF FINLAND ©1976-2020 Tom of Finland Foundation; Tangermann Collection
Tom of Finland, The Loggers XX, 1975, Gouache on paper, 43.5 × 32 cm, Courtesy Galerie Judin, Berlin, © TOM OF FINLAND ©1975-2020 Tom of Finland Foundation; Collection Volker Morlock, Los Angeles. Tom of Finland | Made in Germany | Galerie Judin | 12.09.–19.12.2020
Tom of Finland, Untitled (Template for Tom’s Saloon mural), 1973, Graphite on paper, 41.3 × 63 cm, Courtesy Galerie Judin, Berlin, © TOM OF FINLAND ©1973-2020 Tom of Finland Foundation; Tangermann Collection

 

 

Was ist eigentlich das Gegenteil von heteronormativ? Ein Begriff, der in letzter Zeit die Runde durch die Medienwelt macht.

Ich schaue bei Wikipedia rein:


Homonormativität bezeichnet die Anpassung lesbischer Frauen und schwuler Männer an Heteronormativität. Der Begriff geht unter anderem auf Lisa Duggans Aufsatz The New Homonormativity: The Sexual Politics of Neoliberalism zurück.


Und werde nicht fündig.


Ende der 80er nimmt mich T.z.K.-Abonnement Nummer 5 mit ins Tom`s. Seit 1988 war ich wieder in Hamburg, zum Kunststudium. Meine sexuellen Präferenzen waren undeutlich. Ich wohnte auf St. Pauli und stand unter dem literarischen Einfluss von Hubert Fichte, den ich zu entdecken begann. „Ich wolle genommen werden“, weiß ich mir heute zu sagen. Dass ich nicht „genommen“ wurde, habe ich Nr. 5 zu verdanken, der mich das erste und einzige Mal mit in einen Darkroom nahm. In der heimlichen Hoffnung, dass es dort „drunter und drüber“ ging und mir gezeigt wurde, wohin ich gehöre. Ich lebte nach dem Ausschlussverfahren und wusste nur eins, ich wollte nicht einer jener traurigen Männer werden, die nach 3 – Heinz sprach schon von einem, andere von 9 Bieren – homosexuell wurden. Dass im Darkroom – der Legende nach entstand diese Institution in Warhols Factory und bezeichnete dessen Dunkelkammer, in der hetero- und homosexueller Sex stattfand – nicht das Recht des Stärkeren herrschte, sondern ein fein gewebtes Netzt von haptischen Verabredungen der Finger und anderer sensibler Spitzen, war mir bis zu dem Zeitpunkt nicht bewusst. Ängstlich hielt ich mich an der mitfühlenden Nr. 5 fest – ein Gefühl, das mich bis heute als feiner Strom begleitet.


Im Tom´s, in St. Georg, zeigte er mir die einzige Galerie, deren Stellwände aus Tom of Finland- Zeichnungen bestand und die gleichzeitig als Kontaktraum dient. Wir veröffentlichten eine Zeichnung des Grundrisses in einem Fanzine, als Empfehlung an den Kunsthistoriker Stephan Schmidt-Wulffen, der uns im Studium immer wieder aufforderte, Kunst und Leben zusammenzudenken.


Mit der Berliner Ausstellung wird jetzt erstmalig die Geschichte des Hamburger Unternehmer- und Sammlerpaars Harald Tangermann (1932–1998) und Peter Daun (1941–1987) aufgearbeitet. Denen gehörte neben dem Tom´s auch der Saunaclub „Club Uhlenhorst“. In dem soll es eine – für den eher klein- bis mittelformatig arbeitenden Tom of Finland eher ungewöhnlich – große Wandzeichnung (heute verdeckt?) gegeben haben. Das Paar Tangermann/Daun war seit Anfang der 70er Sammler und Auftraggeber von Tom of Finland. 1988 wurden 44 Zeichnungen in Auftrag gegeben, die den Grundstock der Berliner Ausstellung in der Galerie Judin bilden.


Der offizielle Kunstbetrieb nährt sich bekanntlich aus dem (heimlichen) Archiven des Alltags. Davon zeugt auch, dass Tom of Finlands erste Galerie Robert Meijer (Amsterdam/New York) als Teil seines Ladens für schwule Fetisch-Lederkleidung begann. Geschichten, die von Robert Crumb über Arthur „Weegee“ Fellig bis zu afrikanischen Masken moderne Kunst begleiten. Da ist die mehrsprachige, gebundene Tom of Finland-Ausgabe aus dem taschen-Verlag und dessen Herausgeber John Waters nur ein weiteres Beispiel. Jetzt fehlt nur noch, dass der Tom of Finland (eigentlich: Touko Valio Laaksonen; * 8. Mai 1920 in Kaarina, Finnland; † 7. November 1991 in Helsinki) als intellektueller Bildgeber für einen neuen Wikipedia-Eintrag bezüglich Homonormativität verlinkt wird, denn er ist das als prominentestes Gründungsmitglied der schwulen Lederszene.


Christoph Bannat

 

 

Tom of Finland | Made in Germany | Galerie Judin | 12.09.–19.12.2020