27. Mai 2020

Zungen-Burn-out

 

Die Berliner Lyrikerin Anna Hetzer hat mit Kippbilder ihren zweiten Gedichtband im Verlagshaus Berlin vorgelegt. Im Zusammenspiel mit Zeichnungen von Andrea Schmidt konzentrieren sich zwar die Gedichte aufs Kippen, aber nicht als must-have oder sine qua non, sondern vielmehr sind ja Gedichte grundsätzlich nicht sicher und solcherart ist Hetzers Lyrik an den meisten Stellen nicht anders, grundsätzlich voll mehrperspektivischer Relativität. Mit Ausnahme der Liste Deutsche Exportwaren, die alles davor oder danach, auch typografisch, aufbricht, sind die Gedichte in Kippbilder schlanke Sprachwerke, die gen Reduziertheit zu streben scheinen, ohne dabei allerdings kühl zu geraten. Es geht zu weiten Teilen um Orte, ihre Implikationen, ruhige wie beunruhigende Verstärkungen; am Explizitesten in dem Sichtbarmachen möglicher Nationalismen, sprachlicher Hybris oder Verwunderungen, imaginäre Erinnerungen.

 

„das gelbe brückengeländer offen

für schwierige klimmzüge“

 

Auf der anderen Seite Reisen, Aufenthalte. Mit einem slawisch geprägten Überhang, wie es scheint. Jedoch weiter geht es bis in ein Korea, zu Bildern von Helena Parada-Kim hat Hetzer Postkarten verfasst – vielleicht der beste Genretitel an sich für ihre Gedichte: wenig Platz, nicht kritzeln! Das heißt auch, dass die Gedichte weniger etwas riskieren, als vielmehr das genaue Bindemittel suchen, eine Art Kitt, den es behutsam zu produzieren gilt. In ihm treibt die Unwucht genauso selbstverständlich wie plötzlich eine catchy-eingängige spielerische Verdichtung, deren Tempo-Level man im nächsten Text wiederum vergeblich sucht. Es ist ein konstruktives, eigensinniges Verfahren. Kippbilder haben ihren eigenen Motor.

 

Jonis Hartmann

 

Anna Hetzer: Kippbilder, Verlagshaus Berlin 2019

https://verlagshaus-berlin.de/anna-hetzer-kippbilder/