6. Mai 2020

Leichte Häuser

 

Die beiden Autoren / Fotografen David Schreyer und Andreas Nierhaus haben sich auf eine Erkundung jener Überbleibsel der architektonischen Leichtigkeit des Bauens der 30er bis Anfang 60er Jahre in Los Angeles gemacht, zu denen man etwa 20 bis 30 Häuser von Richard Neutra, Rudolph Schindler und anderen rechnen darf. Sie alle sind auf ihre eigene Weise Schüler oder Schulobjekte von Frank Lloyd Wrights Innovationen und den speziellen klimatischen wie auch bauklimatisch-finanziellen Gegebenheiten ihrer Sinnperiode gewesen. Eine Zeit, die als kulturelle Hochphase jeder Menge modernistischer Experimente wie auch heterogener Qualität gelten muss, die wohl oder übel vorbei ist.

Was bei allen der aufgesuchten und fotografisch wie textlich differenziert dokumentierten Privathäuser auffällt, ist der eigentümliche Kniff, den Luxus (des Raums, des Ortes, der Annehmlichkeiten) mit an sich prunklosen, minimalen, auf die Fläche zielenden Materialien in der Ausführung zu verschleiern. Wie auch immer der fantastische Negativraum sich schlängelt, hoch- und runterzwirbelt, die Hauptrolle spielt meist doch das Fensterglas, nicht „vorhandenes“ Etwas, das den Blick auf die Natur (Pazifik, Kaktus, Nadelbaum) lenkt. Oder das felsige Terrain des Grundstücks.

Den Fotos ist zu eigen, dass, was auch der Text suggeriert, jedes Hausobjekt die Mehrheit seiner Bewohner bis in die jetzige Generation, freigebig Zugang den beiden Autoren gewährend, erzogen hat. Zu Bescheidenheit im Umgang mit dem Raum selbst, dem Material, den Möbeln, den Surroundings. Fast nirgendwo sieht man ostentativen Protz, SUV-artige Kunst, geschmacklose Bibliotheken, monströse Weinregale oder unverantwortliche Riesenjeeps. Eingefangen sind meditative Zonen jeweils unik wirkender „Wohnmaschinen“, wie Rückzugswelten mit eigenen Gesetzen. Jede auch noch so kleine Nische, innen wie außen, birgt ein geistreiches Konzept, einen Miniaturgarten, einen Haptiktunnel, eine Lichtfalle für Schattenspiel.

Was man aus dem ebenfalls recht zurückhaltendend auftretenden Buch lernen kann, ist, abgesehen von der infrage stehenden Luxuriosität / Sozialverträglichkeit des Wohnens Einzelner in Villen, einen grundsätzlich achtenden Blick auf die Kohärenz von Detail und großem (kleinen) Kosmos für sich zuzulassen. Wie Leben, die Qualität möglichen Lebens / Wohnens, von den erzeugenden Räumen abhängt. Und dass überpräsente „Helfer“ wie Normen, Baugesetze, Vorschriften, Abkürzungen, prozessuale Relais zwischen Geld (Investition) und mehr Geld (Ertrag) absolut nichts, nicht das Geringste mit den Möglichkeiten von Raum und der Raumkunst (mögliche Architektur) zu tun haben. Man sieht in „Los Angeles Modernism Revisited“ praktisch kein Geländer, keine Gebäudetechnik, Schilder usw. Jedes dieser ikonischen Gebäude (deren Grundrisse man dankenswerterweise gegen Schluss des Bildbands noch zu sehen bekommt) würde auf einem heutigen Bauantrag als lebensgefährlich eingestuft werden. Die Fotochronik dieses Buchs kommt einer Beschreibung von Raumfossilien gleich. Ihr gelebtes Potenzial nach wie vor erstaunlich.

 

Jonis Hartmann

 

David Schreyer, Andreas Nierhaus: Los Angeles Modernism Revisited, Park Books, Zürich 2019