11. April 2020

Hors Texte

 

Was Odile Kennel in ihrem Lyrikband Hors Texte zeigt, sind quasi Off-Texte, im titelgebenden Fachgebiet. Texte, also Gedichte, die dermaßen an etwas „leiden“, Herz-Hurt, dass es sich dem „zu Dichtenden“ entgegenstemmt, es einnimmt und schließlich bestimmt, es sich in Mut verwandelt, überhaupt weiterzuschreiben, zu dichten. In diesem schmalen Büchlein taucht Kennel auf verschiedenen Arten in lyrische Operationen ein, wie Listen, polylinguale Klangspiele, die noch im besten Sinne geschlossen sind, bis sich der Ton ziemlich bald in eine Raserei aus Sehnsucht, Nachgeben und Unabschließbarkeit von Form und Inhalt wandelt, der nicht zu entkommen ist.

Eine Mantra-Liste versucht gegen an zu wirken, „kein bisschen trauriges gedicht“, schafft es, wie der Titel suggeriert, natürlich auf ganzer Linie nicht, doch wie eine andere Stelle zuvor feststellt: „dieses gedicht dient nicht der wahrheitsfindung“. Und so entsteht ein situativ arbeitender Band mit vielen Leerstellen, Leerseiten, ein paar wenigen reduzierten Illustrationen von Martina Liebig, der sich selbst absorbiert hat, im Warten mit geschlossenen Augen auf dem Bett, Liebe allein, auf die eine Mail, die nicht kommt, und jenen Implikationen des Davor und des Jetzt. Man liest das lyrische Ich von allen Seiten zerdehnt, ausgebeult, wie es sich äußeren wie inneren Wallungen aussetzt, und im Gedicht nachgebend „wie im schlechten Film“.

Es gibt einige Momente, in denen (fast) aller Gestaltungswillen zusammenbricht, die Zeilen nur noch Mutmachungen sein können, all die Spielereien, Listen etc. zurückstehen müssen, hinter der direkten Eins-zu-eins-Aussage: So und nicht anders ist die Stimmung, vergeblich nämlich. Völlig zu Recht heißt eines der letzten Gedichte „die Dichterin nimmt Rache an drei Gottheiten der Stadt“. Im Resultat ein schwierig zu schluckender Band, der auf schmalem Grat wandelt, ihn mit Ehrlichkeit begeht.

Jonis Hartmann

 

Odile Kennel: Hors Texte, Verlagshaus Berlin 2019

https://verlagshaus-berlin.de/programm/hors-texte/