4. April 2020

City Lust

 

Die Fotografin Charlie Koolhaas hat über einen längeren Zeitraum die Metropolen London, Guangzhou, Lagos, Dubai und Houston beobachtet. Dabei geht es in ihrer Fotoserie nicht um eine Form von Geduld, sondern um schnell geraubte Blicke. Die Orte, die sie aufgesucht hat, sind in keinster Weise klassisch fotogen, sie werden von Wachhabenden, Milizen oder dem Kapital selbst, scheints, bewacht. Es geht ihr um das Herstellen einer Vergleichbarkeit des Wachstums unter rapiden globalen Veränderungen. Stets im Licht des einen zu verfolgenden kapitalistischen Stroms, immer hin zu den Dingen, die gerade „etwas einbringen“.

Neben den aus der Hand, im Vorbeifahren, im geduckten Nähern oder mit, die Wut in Kauf nehmenden, offenem Visier geschossenen Blicken schreibt Koolhaas in kurzen Texten über die situativen Bedingungen der Fotos. Nicht ohne Humor. Was angesichts dessen, was da abgelichtet ist, ein ziemlicher Galgenhumor ist. Denn entweder sind die Dinge nicht fertig oder schon wieder am Zerfallen. Nahezu nichts, und das ist das Interessante: In absolut keiner der fünf urbanen Wirklichkeiten, strahlt irgendetwas in irgendeiner Weise eine Form von Charme aus. Sämtliche Bilder beruhen auf unfreiwilligem (optischen wie figuralen) Slapstick, der, wenn er nicht so ernst wäre, zum Totlachen ist. Menschen in saturierter oder verzweifelter Richtungslosigkeit an Tischen, auf Stufen, in Ausstellungen, in Apathie oder wie in Hypnose am Handy, stehen vor billigst wirkenden aufgestellten Reklamen einer Familie und anderer zum Ideal stilisierten Bürgerlichkeit. Zum anderen stehen behelfsmäßige Verkaufsstände, Märkte, Annoncen wie wildwuchernder Farn im Wald an den unmöglichsten Stellen im In-Between. Oder aber es wird überall irgendwo etwas Riesiges von Menschen gebaut, ohne dass es menschlichen Zwecken dienen könnte. Es gibt nichts Geregeltes, alles ist nur scheinbar im geleiteten Zustand.

Was Charlie Koolhaas gegenüberstellt, ergibt von allein einen Bildessay aus Stau, Müdigkeit und Farben, die schon zu Lande aussehen wie ein Unterwasserblick in den treibenden Plastikmüllkontinent im Ozean. Dazwischen jene wichtigtuerische Spezies im Business-Look, vollkommen unberührt von allem in Liegestühlen auf Kunstrasen in der Wüste, die direkt auf der anderen Straßenseite beginnt. City Lust ist ein beängstigender Band Anti-Ästhetik, der sich fast beiläufig zum Spiegel einer dominanten Verhaltensströmung/-störung auf Erden macht. Der Titel ergibt sich aus dem Foto einer City Lust genannten Flakon-Kreation mit entsprechendem (?) Inhalt.

 

Jonis Hartmann

 

Charlie Koolhaas: City Lust, Scheidegger Spiess, Zürich 2020