25. Februar 2004

Palindrom

 

Menschen sind im Unterschied zu Tieren testende (Wolf Singer) und, so die Autorin, imitierende Wesen. Das mit der Mimesis ist im Gegensatz zum Test allerdings nicht ganz so neu, hatte doch schon Aristoteles auf diesen Mechanismus zwecks Abhärtung gesetzt. Und Aristoteles hatte im Grunde schon genau die drei Bedingungen im Katharsis-Konzept berücksichtigt, die Blackmore für die Behandlung von Memen als Replikatoren im genetischen Sinn verlangt: Variation, Selektion, Vererbung. Aristoteles ist also der erste Memetiker:

Das Drama wählte aus menschlichen Gegebenheiten einen bestimmten sozialen Ausschnitt aus (die hohe Lage, in der sich Könige und ähnlich hohe Tiere tummeln), variierte Begebenheiten so, dass sie im Rahmen des Möglichen maximal interessieren konnten, und das Drama führte sich schließlich so auf, dass es eine möglichst große Reichweite, nämlich durch die Aufführung in einem Amphitheater, erfuhr. Die Zuschauer dachte Aristoteles als Sensoren für Meme, und bei den damaligen feierlichen Wettstreiten der Theaterautoren ging es um genau die Gunst des Publikums, um die sich Meme, seit es sie gibt, schon immer bemüht haben. „Meme sind Replikatoren, und wenn sie die Chance haben, kopiert zu werden, dann nutzen sie sie.“ Die Dramatiker konnten also die Gunst der Stunde nutzen, mussten sich aber natürlich auch was Besonderes einfallen lassen, um ihre „eigenen“ Meme dem Publikum plausibler zu machen als die des Konkurrenten. Genau wie Gene denken also Meme nur an sich.

Wat is aber nu en Mem? Auch wenn man jetzt analog denken und vermuten könnte, dass Meme so etwas sind wie Phoneme oder Texteme, so wird man enttäuscht, obwohl oder gerade weil die Memetik letztlich nichts anderes als Intertextualität als Evolutionstheorie ist. Es gibt also keine funktionelle Einheit (z.B. kleinstes bedeutungsunterscheidendes Element), auf der weitere analysierbare, also diskrete Ebenen existieren. Es ist alles ein großer Brei. Ein Mem definiert sich nicht „objektiv“, sondern allein durch die menschliche Aktivität, imitiert zu werden, und imitieren lässt sich ja ziemlich viel, Melodien, Sprache, Denken, Faxen, Liebe, Sex, im Grunde der ganze kulturelle Bereich, im weitesten Sinn.

Man ahnt, dass die Memetik nicht zu den elegantesten Theorien gehört. Sie gibt auch zu, ganz einfach zu sein. Die evolutionstheoretisch immer noch rätselhafte sprunghafte Gehirnerweiterung deutet Blackmore als Folge der imitativen Tätigkeit des Menschen, und die Erfindung der Sprache hat memetisch bloß den Sinn, Meme weiter zu transportieren. Und da es irgendwann einen Überschuss an Memen gibt im Verhältnis zur egalitären Behandlung all ihrer Vertreter, so kommt es zum knallhart darwinistischen Wettbewerb zwischen den Memen und Memplexen (das sind Memgruppen, etwa Religionen). Der Mem-Sieger ist, wer sich am besten replizieren kann.

Dementsprechend gibt es so schöne Dinge wie Mem-Quellen und Mem-Gräber. Die Philosophie des deutschen Idealismus ist heutzutage eher ein Mem-Grab. Es erzeugt zu wenig Aufmerksamkeit. Dagegen ist ein Autor wie Dieter Bohlen das Gegenbeispiel der erfolgreichen Mem-Quelle. Wer laut und überall spricht, dem wird gegeben werden. Daraus ließe sich bequem auch der memetische Imperativ ableiten, denn leider sind Meme ja von sich aus strunzdumme Dinger, denen man immer wieder sagen muss, an was sie sich hängen müssen. Ob das den Wirt dann freut, ist noch mal ne andere Sache.

 

Dieter Wenk

 

Susan Blackmore, Die Macht der Meme oder Die Evolution von Kultur und Geist, Heidelberg/Berlin 2000 (The Meme Machine Oxford 1999)