20. Februar 2020

Showroom für Kundengespräche

1_Börse,1810, Architekt Jean-François Thomas de Thomon, St. Petersburg, Radierung von Ivan Chesky, 1777–1848.
2_Brunnen mit Sphinxen, Pulkowskoje Schosse, St. Petersburg, Architekt Jean-François Thomas de Thomon.
3_Tchoban Voss-Architekten.
4_Jean-François Thomas de Thomon, Zeichnung.
5_Museum für Architekturzeichnung, Berlin
6_Museum für Architekturzeichnung, Berlin.
7_Tchoban, Architekturzeichnung 2010.
8_Kabakov, Zeichnung, 1992, Documenta IX.
9_Kabakov, Zeichnung 1993, Guggenheim, Oper auf 4 Ebenen.
10_Pavel Pepperstein, Der Architekt und das Goldene Kind

 

 

Berlin hat seit 2013 ein Museum für Architekturzeichnungen und das ist großartig, notwendig und wichtig. Leider in einem allzu eitlem, verdreht gedacht und oberflächlich nervös verdaddelten Baukörper. Kein Problem, käme hier nicht der Verdacht auf, dass damit auch die Haltung des europaweit agierenden Architekturbüros Tchoban-Voss, die das Museum für Architekturzeichnung betreiben, zum Ausdruck kommt, das sich in ästhetischen Dingen treffsicher zwischen Anpassung und Blendwerkdesign bewegt. Anpassung an einen architektonischen Zeitgeist der 90er, den hoffentlich keiner gerufen haben will. Blendwerk, das ungeniert, unter Originalitätszwang stehend, nach Aufmerksamkeit giert. Vielleicht das Erfolgsrezept, vor dessen Hintergrund die Sammlung jedoch schnell wie eine weitere Seite im Portfolio für guten, historisch abgesicherten Geschmack wirkt. Dabei fällt der Blick in die Lücke zwischen Architektur und Bauen, Anspruch und Wirklichkeit, ohne die soziale Wirklichkeit des Pfefferberg-Areals mit der Aedes-Gallerie zu berücksichtigen. Das digital gestützte, repetitiv verdoppelte Edelgrafitto der Außenhaut, narrativ aufgeladen mit Privatismen Tchobans (seinen ersten gesammelten Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert, von denen er für die Fassade Ausschnitte in Beton hat gießen lassen, ansonsten konzentriert sich die Sammlung aufs 20. und 21. Jahrhundert) karikieren den massiven, zusätzlich verdrehten fensterlosen Baukörper. Bereits auf der Außenhaut des Museumsgebäudes kollidieren so viele Ansprüche miteinander, dass deren konkurrierenden Effekte sich gegenseitig subtrahieren. Das wirkt eitel und macht den Stadtraum einmal mehr zur Galerie des Architekten. Alles kein Problem, würde Tchoban nicht Berlin und Europa mit Einkaufspassagen, Büro-Apartmenthäusern etc. von der modernen Stange verstellen. So betritt man misstrauisch, von der äußeren Erscheinung vorbelastet die Ausstellungsräume, in denen sich das Unbehagen leider bestätigt. Architektur kann verführerisch sein, diese ist es nicht. Im Inneren setzt sich die Kritik über das Teppich- und Wanddesign, bis zu den kammerartigen Ausstellungsräumen, über die Postkarten-Entwürfe mit Flak-Scheinwerferrethorik und eingebildeter Kirche, wo in Wirklichkeit ein Schornstein steht, fort. Ein weiteres Berliner Beispiel, wie es aussieht, wenn sich (neu-)reiche Geschichte und Geschmack zusammenkaufen. Dazu passt, dass in diesem Räumen nicht wirklich geforscht wird, auch wenn es eine offene Bibliothek gibt und zu den Ausstellungen regelmäßig Kataloge erscheinen. So wird das Museum zum Showroom für Kundengespräche, in der Laterne, über der archivierten Geschichte sitzend, mit exklusivem Blick über Berlin. Wenn es demnächst eine historische St. Petersburg-Ausstellung gibt, sollte man sich auch dort gebaute Tschoban-Voss-Gebäude dazudenken.

Ich liebe solche Orte, schließlich wohnt man nicht in Berlin seiner nicht vorhandenen Schönheit, sondern der Leute wegen. Gemäß dem Spruch: Geht es einem schlecht, ist hier jeder einer zu viel, und wenn gut, dann ist jeder eine Möglichkeit. Trost ist in Berlin von der Architektur nicht zu erwarten.


Zurzeit sind Kabakov-Zeichnungen zu sehen. Zwar nichts Neues, aber die Kabakovs gehören zum moderen Bildungskanon. Architektur ist für sie in den Raum projektiertes Denken und Bauen nur ein (notwendiger?) Nebeneffekt.


Die nächste Ausstellung:

Jean-François Thomas de Thomon, 1760 bis 1813, geboren in St. Petersburg.

Schön die Wiki-Bilder, auf denen die erhabene Architektur durch die Jetztzeitbanalitäten kommentiert wird.


Als Kaufempfehlung für die Tchobans dieser Welt, die Ausstellung mit Architekturzeichnungen in der Independent-Galerie Walden, von denen es immer weniger gibt. Gezeigt werden Architekturzeichnungen von Peter Boué, Frank Diersch, Ben G. Fodor, Alekos Hofstetter, Birgit Hölmer, Werner Kernebeck, Pia Linz, Silvia Lorenz, Christian Pilz und Thomas Ravens.

Letzteren bewundere ich als lichtversessenen, detailverliebten und atmosphärisch dichten Stadtphantasten, der die abgenutzte Lichtmetapher der Aufklärung in artifiziell-glitzernde Dystopien überführt. Ken Adam, Setdesigner und Zeichner, ergänzend zur Seite gestellt, würde ihm gut stehen.




Außerdem eine Buchempfehlung:

Pavel Pepperstein: Der Architekt und das Goldene Kind, Ciconia-Verlag.

In seinem modernen Märchen traut er die absolute Herrschaft nur einem Kind zu: „Es war keinesfalls ein unverschämter Usurpator oder ein ruhmsüchtiger Tyrann, der mit Gewalt an die Macht gekommen war. Das Goldene Kind war überhaupt kein Mensch im üblichen Sinn des Wortes – es war ein künstlicher Körper mit künstlichem Geist. Das Goldene Kind war in den Tiefen von Forschungslaboren zur Welt gekommen, nachdem Volk und Regierung die Wissenschaft damit beauftragt hatten, den idealen Regenten Russlands zu synthetisieren.“ Bei diesem bittet der Architekt nach Jahrhunderte langer Arbeit um sein Verschwinden. Einer Bitte, der mit dem Zauberspruch „Ich bin du“ und der zu gebenden Antwort des Architekten „Du bist ich“ nachgekommen wird.


Christoph Bannat

 

http://www.tchobanvoss.de


https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-François_Thomas_de_Thomon


http://www.tchoban-foundation.de


http://www.ciconia-x-ciconia.net/architekt


http://www.galerie-walden.de

 

Pavel Pepperstein: Der Architekt und das Goldene Kind

Cohen+Dobernigg Buchhandel

amazon