16. Februar 2004

Die temperierte Regierung

 

Das deutsche Wort Zuversicht für das englische faith ist ein bisschen schwach, es handelt sich um Glauben. Zuversicht hat doch genau das kontemplative Moment, das die hier skizzierte Regierungsform, die den Himmel auf die Erde herunterholen will, abstreift. Der Glaube ist heiß, er ist heiß auf Zukunft (seit Bacon, also nicht erst seit den Aufklärungsdenkern des 18. Jahrhunderts), und er ist begierig darauf, schon in der Geschichte das verwirklicht zu sehen, was ehemals die Religion für die Zeit nach dem Tod versprochen hatte. Es ist der Glaube an die Machbarkeit von Projekten und vor allem des Projekts Vollkommenheit: Der Mensch mag ein krummes Holz sein, wir, die Regierung, biegen es gerade. Wir haben die Mittel, die Macht, vertraut uns, wir wissen den Weg, der auch hart werden kann (das werden Skeptiker lakonisch dann „Interimsethik“ nennen, also eine Vorweglegitimierung der regierenden Partei im subjektiven und objektiven Sinn auf alles, was sie tun und erlassen wird, alle Taktiken inbegriffen, es ist die Wahrheit, über die die Regierung verfügt, sie kennt die Tricks, und sie muss manchmal hart durchgreifen und ein paar Leute beseitigen).

Die Zuversicht ist „regulierungsfreudig“, ihre Zuständigkeitskompetenz ist allumfassend, es gibt keinen Bereich der Gesellschaft, der sich des Projekts entzieht, der ihm neutral gegenüberstehen könnte. Da die Macht für ein solches Projekt zentralisiert werden muss und immer weitere Kreise zieht, da sie ja für schlichtweg alles verantwortlich ist, gibt es bald nichts mehr, dem sie gegenübersteht als anderes. Irgendwann verzehrt die Zuversicht, die Macht sich selbst, wenn sie zum Beispiel als Kandidaten der Vollkommenheit die Sicherheit in Anschlag bringt: Totale Sicherheit kommt auf totale Überwachung hinaus.

Damit das nicht so kommt, gibt es als gleichursprüngliches Regulativ (das ist aber prinzipiell gegenseitig gedacht) den Politikstil der Skepsis, der keine Visionen hat, von nichts träumt (er erwartet nicht sehr viel von „dem Menschen“) und der Macht möglichst auf Sparflamme halten will: Vor allem geht es ihm um die bloße Aufrechterhaltung der (immer kontingenten) Ordnung. Die Schwundstufe dieses Gebäudes ist das Biedermeier, der Spießbürger, der dann auch nicht mehr erkennen kann, dass vielleicht etwas faul ist im Staate Dänemark. Er hat kein Gespür für politische Veränderungen, auf die er dann nicht angemessen reagieren kann. Er ist Statiker, aber das Leben geht natürlich weiter, deshalb muss ihm irgendwann mal wieder der Marsch geblasen werden, dass es noch anderes gibt als die Sammlung von Gartenzwergen.

Allerdings, so sieht es jedenfalls Oakeshott, ist die Beziehung beider Stile asymmetrisch. Eine forcierte Umsetzung der Politik der Zuversicht ist selbstzerstörerisch, sie landet irgendwann bei der unlauteren Identifizierung von Wort und Tat, die Ideologie ist die Wahrheit, während die Es-ist-erreicht-Form doch letztlich nur eine Lüge ist. Was sich als „Pelagianismus“ ausgibt, ist radikal auf die Gnade des Glaubens angewiesen, und wo ihm der Kredit gekündigt wird, kollabiert die Zuversicht. Der Skeptiker hingegen droht einzuschlafen, das heißt auch ihm droht der Realitätsverlust, aber irgendwie glaubt Oakeshott, dass der Skeptiker sein eigener Prinz sein kann. Anfang der 50er Jahre, als dieses Manuskript entstand (aber erst postum 1996 veröffentlicht wurde), gab es Gründe, der Zuversicht entgegenzutreten. Heute wünschte man sich umgekehrt wieder ein bisschen Wind, denn obwohl alle Regierenden super zuversichtlich sind, fehlt ihnen und denen, die sie regieren, der Glaube. Und natürlich der Kredit.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=3>Michael Oakeshott, Zuversicht und Skepsis. Zwei Prinzipien neuzeitlicher Politik, Berlin 2000</typohead>