28. November 2019

Epics in the Everyday

 

Gebäude oder Architektur? Das ist das prinzipielle Problem des Realismus, um das es in Jesús Vassallos Buch „Epics in the Everyday“ geht. Viele Worte und einige davon unklar in der Publikation bei Park Books, doch das Wesentliche ist der Aspekt der Fotografie, unter der die Studie geführt wird. Die bildliche Argumentation wiederum schafft die Transparenz, die dem Textteil fehlt.

Was verbindet Realität und ihr Abbild als Raumerfahrung? Die Antworten geben die beiden Disziplinen selbst: Architektur und Fotografie. Das Buch gibt einen Überblick über die wichtigsten Kollaborationen der letzten Jahrzehnte. Es beginnt mit dem brutalistischen Ehepaar Smithson und Nigel Henderson. An genau der Schnittstelle zwischen Lukács Forderung „realism as the concept capable of articulating a political role for art“ und dem zum Teil exzessiven Missverstehen von Ort und Mensch in ihrer eigenen architektonischen Arbeit zeigt Vassallos, wie sensibel auf der anderen Seite das fotografische Korrespondenz-Oeuvre der Smithsons mit Henderson funktioniert. Der dokumentarische Ansatz im Gegensatz zum Akt, wie bei den „Fold Houses“, ist der Übergang zur nächsten Phase, die Pioniere wie Ed Ruscha und darauf aufbauend Robert Venturi und Denise Scott Brown visuell faszinierend weiterführen – immer noch in der Dichotomie ihrer eigenen ziemlich unrealistischen Bauten gefangen. Wohingegen sie zu Recht Ruschas „non-judgmental attitude“ hervorheben und dessen Strip-Sammlungen zum Beginn der einfallenden Mimesis erklären.

Schließlich folgt im Kapitel „Seriality and Nostalgia – Anonymous Architecture as Conceptual Art“ die entscheidende Kreuzung. Die Dokumentationen der Bechers, wie zum Beispiel die britischen Coal-Bunker-Serien, stellen eine eigene Architekturgattung dar, deren Autorschaft abgeschafft, ja entromantisiert wird. Konsequenterweise entwickelt sich aus diesem Oberflächen-Denken die neue Materialität, die die beiden anschließenden Kapitel zu Herzog & de Meuron mit Thomas Ruff und Caruso St. John mit Thomas Demand vorstellen. Beide Büros arbeiten mit einer zum Teil endlosen Mimikry, wie bei der Bibliothek Eberswalde oder den Ausstellungsgestaltungen mit Demand zusammen. Diese produktiven Kollaborationen sind nicht zuletzt auf einem beiderseitigen Disziplinenverstehen aufgebaut, und Vassallos schildert die interessanten Anfänge der Schweizer Herzog & de Meuron, die mehr aus Jux mit Joseph Beuys bei einem frühen Projekt kooperierten und etwas dabei lernten, das sie bis heute auszeichnet, jene materielle Unverfrorenheit und Aufgeschlossenheit.

Die Thematik Screen und ihre weitergehenden Implikationen führt im Schlusskapitel auf direktem Wege zu Mimikry-Artisten wie Filip Dujardin, dessen interessanter Collagearbeit durchaus mehr Platz eingeräumt sein könnte. Dass sich alle Spuren zusammenfinden, zeichnet den Gedankengang Jesús Vassallos’ aus, doch ist abzusehen, dass die Eingangsspaltung Gebäude/Architektur keinen Sinn ergibt. Eventuell ist die Frage nicht richtig gestellt. Die vorgestellten Werke und Programme jedenfalls sind reich an Assoziationen. „While the intrinsic problem of realism may remain forever unsolved, its promise to synthesize simultaneous claims to truth and beauty perpetually out of reach, the gradual buildup of a contemporary realism points towards the possibility of a renewed agency and centrality for architecture.“ Allerdings.

 

Jonis Hartmann

 

Jesús Vassallo: Epics in the Everyday. Parkbooks Zürich 2019