7. September 2019

Mit Blick zum Mond

 

Die Mondlandung bildet in Ulrich Woelks Roman „Der Sommer meiner Mutter“ die Rahmenhandlung. Während der elfjährige Tobias ihr auf dem Farbfernseher seines Onkels entgegenfiebert, bedeutet der Sommer 1969 für ihn und seine Eltern auch ganz persönlich einen radikalen Einschnitt in dem bis dahin beschaulichen Familienalltag.

In der Neubausiedlung am Kölner Stadtrand nebelt der Vater voll Glauben an Technik und Fortschritt den Garten mit Insektenschutzmittel ein, während die Mutter mit der Entscheidung ringt, sich ihre erste Jeans zu kaufen. Dass die tatsächliche Emanzipation trotz „summer of love“ noch weit entfernt ist, wird bereits auf der ersten Seite des Buchs klar. Während Tobias mit der Nachbarstochter Rosa The Doors und Janis Joplin hört und erste sexuelle Erfahrungen macht, kämpft seine Mutter ihren ganz eigenen Kampf um sexuelle Freiheit. Doch in der Gutbürgerlichkeit des katholischen Rheinlands, das noch von den prüden Moralvorstellungen der 50er Jahre geprägt ist, scheinen Rebellionsversuche in Haushalt und Beruf nur in einer Katastrophe enden zu können.

Der Astrophysiker Woelk erzählt die Geschichte aus Sicht des zurückblickenden Tobias und ergänzt die Beziehungsverstrickungen mit technisch detaillierten Beschreibungen der Apollo-Missionen. Ganz nebenbei lernt der Lesende also auch noch etwas über die Raumfahrt.

Durch genaue Beschreibungen seiner Schauplätze und Figuren schafft Woelk eine dichte Atmosphäre und lässt den Zeitgeist der Bundesrepublik der 60er Jahre aufleben.

Der Roman lässt sich gut an einem Stück lesen. Er eignet sich also trotz seiner Tragik als leichte Sommerlektüre: auf der großelterlichen Terrasse, in der anderen Hand ein Capri-Eis und im Hintergrund der Rasensprenger. In diesem Sommer 2019, der dem von 1969 doch in einigen Punkten ähnelt. Es scheint wieder ein Umbruch in der warmen Luft zu liegen, junge Menschen sind wieder politisch und gehen auf die Straße.

Ulrich Woelks Roman und auch das 50-jährige Jubiläum der Mondlandung funktionieren als Rückblick in eine Welt, deren Selbstverständnis von Fortschrittsglauben und starren Rollenverteilungen geprägt war. Er weckt das Bewusstsein dafür, dass solch ein Selbstverständnis niemals unveränderlich ist und dass es notwendig ist, diese Veränderung mitzugestalten.

Lea Woltermann

 

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter, C. H. Beck, München 2019