27. Januar 2019

Soziales Wohnen

 

 

Der Katalog zur Alejandro-Aravena-Ausstellung im dänischen Louisiana Museum 2018 ist wie sein Vorgänger, zu Wang Shu, ein umfangreiches Werkverzeichnis. Aravenas Studio Elemental ist mit dem Pritzker Prize ausgezeichnet worden und hat jenseits von Investorenbaumasse tatsächlich etwas zu sagen. Im Bereich Soziales Wohnen besitzen die Half a House-Projekte den mit besten Ansatz in Partizipation überhaupt. Auf den Aspekt des User Involvementantwortet Aravena im Interview: "How do you build sustainable housing on a tight budget, while providing a certain standard of living and making room for communal life between the buildings?" 

Half a Housezeigt einen möglichen Weg auf. Mit Ablegern in Iquique, Antofagasta, Santiago und in Mexiko unterstreicht Aravena, dass Partizipation bereits in der Art der Vorgaben entschieden wird. In Slums, auf schwierigen Grundstücken oder in konfliktbeladenen urbanen Zonen bieten die Entwürfe eine Zeilenbebauung an, mit ausgewogenen Flächen ohne charakteristische Labyrinthzonen, die viele vorherige Maßnahmen seitens der Stadtplanung teufelskreisartig bestimmt haben. Darauf wird gebaut – aber nur zu Hälfte. Das Objekt funktioniert als Halbhaus. Mit allen Installationen und der kompletten Gebäudetechnik. Den Rest, sprich die andere Seite, das oberste Stockwerk oder die Vorhauszone, kann jede(r) weiterbauen, wie er/sie mag oder kann. Die Fotodokumentation zeigt den Einfallsreichtum, die schlichte Begrünung, das lichtvolle Zusammenleben und die Annahme dieser simplen und offenen Baulösung. 

Auch mit dem Masterplan des vom Tsunami zerstörten Ortes Concepción, bei der Aravena nichts plante außer einem Wald, angesichts der (Un-)Wahrscheinlichkeit eines weiteren derartigen Tsunamis in nächster Zeit, mit dem doppelten Vorteil, eine öffentliche Park-/Naturfläche für die Stadt auf dem zerstörtem Terrain geschaffen zu haben, hat sich Aravena einen Platz unter den Tüftlern globaler Antworten geschaffen. Gemäß des Credos: There is nothing more terrible than the right answer to the wrong question, das an vielen Stellen der Dokumentation auftaucht. Das Kapitel "The ABC of Incremental Housing" ist dementsprechend der essenzielle Teil im Katalog für den strategischen Gebrauch von Form.

Umso absurder sind allerdings andere Projekte Aravenas, die zwar immer noch in der Materialwahl diesem selbstgesteckten Credo folgen, in einer maßstabsübertretenden, konventionellen Formensprache jedoch letztlich an genau die wrong question erinnern – siehe die verschiedenen Villen, Lookouts oder Museen in Doha –, bei denen man sich fragt, ob hier zwei Büros am Werk waren. Einerseits die genannten, schon jetzt adaptierbaren Half a House-Gebäude und andererseits die abgehobenen, plump brutalistischen Retrobetonbrocken mitten in der Landschaft oder an Kreuzungen kleiner Städte, die absolut nichts von eben Investorenäckern allüberall unterscheidet. 

Die Publikation jedenfalls zeigt beide Gesichter in Fotos, Skizzen und dem langen Projektinterview, sodass Aravenas Output transparent wird mit all seinen Facetten. Man kann gespannt sein, welcher dieser beiden Seiten sich Aravena in Zukunft hinwenden wird.

 

Jonis Hartmann

 

 

Alejandro Aravena. Elemental. Lars Müller. Zürich 2018

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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