4. Januar 2019

Olgiati oder Hier wohnen Räume

 

Eine vorzügliche Projektschau der Werke Valerio Olgiatis von 2009–2017 bietet der gleichnamige Prachtband aus dem Basler Verlagshaus Simonett & Baer. Großformatiges, haptisch schweres Papier und Leinenumschlag bilden das Hintergrundweiß, auf dem die präzisen Drucke der collagierten, mit Strukturen hinterlegten Originalpläne Olgiatis ihre Wirkung entfalten. Die betonlastige, wie ein System aus voneinander abhängigen Entscheidungen und Referenzen sich bildende Architektur, ob Projektstatus oder komplettiert, ist stets ein eigener Kosmos, der sich unabhängig von gängigen Strömungen oder gar notwendig erscheinenden Ausstattungen macht. Ornamente, die an Louis Kahn auf den Kopf gestellt erinnern, Fenstereinheiten, schräge Monolithen oder provozierende Nacktheit, die sich von jeder sichtbaren Gebäudetechnik freizumachen versucht, durchziehen die verschiedenen Maßstäbe und Bauaufgaben, von Privathaus zu verdichtetem Wohnen, Bildung, Retail, Konzerthalle oder Bauen im Bestand. Wiederkehrende Themen sind zum Beispiel das Haus im Haus, die Bunkerhaftigkeit, das Labyrinth oder das Urhüttensymbol, das in Grundrissen, als Stütze, als horizontale Öffnung überall auftaucht, wie eine Signatur oder eine sprachliche Versicherung.

 

In dem Nachwort von Jacques Lucan geht es um den Aufbau von "Erhabenheit", von "Reinheit" durch pure Materialität, und die angeführten Referenzen, wie die Architektur der Inka oder auch Fatehpur Sikri, können sicherlich Pate stehen für dieses eigentümliche Konzept Olgiatis, den eigentlichen Aufgaben scheinbar auszuweichen und stattdessen dem Raum selbst Unterschlupf zu gewähren. In der Tat wirkt es bisweilen so, als würde der Gebrauch selbst, das Wohnen etc. suspendiert und in Wirklichkeit eine eigene Phänomenologie aus unsichtbarem (Raum-)Verhalten etabliert werden, die nicht entweiht sein möchte. Offen für jede Form der Patinierung bilden Olgiatis Bauten eine Geste ab, eine surreal anmutende, nicht selten absurde Bauform. Wie z. B. die schon jetzt zum Klassiker gewordene Villa Além mit ihren ausgebreiteten Mauern wie ein Himmelshafen, dem Garten mit dem Wasserspiel, das an Barragán erinnert, und ihren dunklen, versteinerten Innereien der Wohnräume. Dazu kommt die spannende Wahl der Bauorte, wie mitten in der Stadt an belebten Kreuzungen oder aber in völlig abgelegener rauer Landschaftsumgebung oder schmalen Parzellen, die komplett, jedoch unsichtbar unterirdisch bebaut werden. Olgiati schafft es, unkonventionelle Grenzen auszubilden, die gestalterischen Mut und Wiedererkennungswert ausstrahlen, oder, wie Lucan es ausdrückt, "entweder Muschel oder Knochen" zur Basis haben. Ein eindrucksvolles Buch, das nichts entweiht, sondern von anderer Seite stützt.

 

Jonis Hartmann

 

Valerio Olgiati. Projekte 2009–2017. Simonett & Baer. Basel 2018

 

 

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