28. Dezember 2018

Ruinen

1. Stadtschloss/Humboldtforum, Berlin, Nord-Ost-Seite, 2018
2. Nudes in ruins - Google-Bildersuche, 2018
3. KZ-Ruinen - Google-Bildersuche, 2018
4. Negativbild eines Ausschnitts aus Hinrichtungsvideo des sogenannten IS, Kopie aus „Das Beispiel Palmyra, Horst Bredekamp, Verlag Buchhandlung Walther Koenig 2016
5. Hans Vredemann de Vries, Ruyne, Theatrum Vitae Humanae, Radierung 1577, aus Kai Vöckler, Die Architektur der Abwesenheit, Parthas berlin, 2009
6. Hubert Robert zur Umgestaltung der grand Galerie du Louvre, 1796, aus Kai Vöckler, Die Architektur der Abwesenheit, Parthas berlin, 2009
7. Thomas Hirschhorn Ausstellungsaufbau - Never Give UP The Spot, Museum Villa Stuck, München, 2018
8. Thomas Hirschhorn Ausstellungskatalog, Museum Villa Stuck, München, 2018
9. Thomas Hirschhorn Ausstellungskatalog, Museum Villa Stuck, München, 2018
10. Thomas Hirschhorn Ausstellungskatalog, Museum Villa Stuck, München, 2018
11. Thomas Hirschhorn Ausstellungsaufbau - Never Give UP The Spot, Museum Villa Stuck, München, 2018

 

Fünf Kinder, unsere kleine Rasselbande, radelten knapp neun Kilometer hinweg durch die Vororte Hamburgs, von Langenhorn-Nord zur Poppenbüttler Schleuse. Eine Strecke, die mir heute, bedenkt man, dass wir erst um die zehn Jahre alt waren, noch viel weiter vorkommt. Das Ganze nur, um in einer Burgruine zu spielen. Wir krochen durch ein Loch im schmiedeeisernen Zaun, auf allen Vieren erreichten wir dann den höchsten Punkt des künstlich aufgeschütteten Bergs. Spritzen, Wichsen, Scheißen. Wenn wir die künstliche Ruine betraten, mussten wir aufpassen. Es kam vor, dass hier jemand seine Notdurft verrichtet oder sich eine Spritze gesetzt hatte. Manchmal fanden wir Fetzen von Pornoheften, die wir uns dann neugierig zusammensetzten, in dieser weltabgewandten Vorstadt-Eremitage. 

Reinhard Zimmermann unterscheidet drei Typen künstlicher Ruinen: Jene, die als a) defekte Architektur und kontrastierendes Element b) als transitorischer Raum und c) als Kontinuität, zwischen Neu und Alt, stiftendes Formelement funktionieren. Typen, die schon lange tief im allgemeinen Unbewussten unserer Zivilisation verankert sind. Von „Stall von Betlehem“-Darstellungen, also Typ b), bis zu Subutex von Virginie Despentes gibt es gedankliche Verbindungen. In Band 2 übernachtet Subutex eine Zeit lang in einem leer stehenden Rohbauskelett in Butte Bergeyre, bevor er wieder hinab in die Zivilisation steigt. Auf alle Ruinenformen einzugehen, führt hier zu weit, das macht Reinhard Zimmermann in seinen Referenzwerk zum Bau von künstlichen Ruinen.

Als aktueller Anlass dient hier die Ausstellung von Thomas Hirschhorn „Never Give Up The Spot“ im Museum Villa Stuck in München, begleitet von einigen Aufsätzen aus den letzten Jahren, an denen sich die Aktualität der Ruine als Metapher verdeutlicht. Thomas Hirschhorn baut in München einen künstlichen Ruineninnenraum, als gespielter Ernstfall, auf der Basis von Kriegs- und Katastrophenbildern nach. Horst Bredekamp geht auf den Ernstfall ein und fordert in seinem Heftchen „Das Beispiel Palmyra“ eine internationale Welt-Kultur-Erbe-Polizei. Und Kai Vöckler zeigt in „Architektur der Abwesenheit“, Untertitel: „Über die Kunst, eine Ruine zu bauen“, wie Künstler, damals und heute, Ruinen symbolträchtig aufzuladen wussten. Das unübertroffene Referenzwerk aber wurde von Reinhard Zimmermann geschrieben, in seinen 1989 erschienenen „Studien zur Geschichte der künstlichen Ruinen“. Während Thomas Hirschhorn in seiner Installation auf alle möglichen Formen von Ruinen eingeht, beschränkt sich Reinhard Zimmermann auf künstliche Ruinen. Thomas Hirschhorns Ausstellungskatalog ist eine Zitatensammlung von Robert Walser über George Simmel, Goethe, Alfred Jarry, Théodore Géricault und Caspar-David Friedrich bis Picasso, über die Orte Palmyra, WTC-Twintowerund Tschernobyl, die Costa Concordia sowie gestürzten Statuen von Saddam Hussein bis Lenin zum Thema Ruine. Angesichts dieses Sammelsuriums scheint es, als verliert Thomas Hirschhorn die Bildpolitik von Kriegs- und Katastrophenruinen aus den Augen, die unbewusst mitwirkt. Katastrophenbilder, die, gerade in friedlichen Zeiten, unsere Instinkte wachhalten sollen und den Normalzustand (Frieden) als Ausnahme markieren. Im bürgerlichen Ambiente spielt der Museumsbesucher mit dem Grusel virtueller Bedrohung, glücklich, eben nicht unter solchen Umständen leben zu müssen. Im Namen der Aufklärung wird hier ein Bedrohungsszenario mit Primäreffekten aufgebaut. Bildeffekte, die unmittelbar auf unser Nervensystem einwirken. Bilder als Angriff auf das menschliche Grundbedürfnis nach Unversehrtheit und Schutz. Bildpolitiken, die polit-pornografische Züge tragen. Das wäre meine Kritik. Wobei es auch ein Ruinentabu gibt, das Zeigen von Ruinen der KZ-Gedenkstätten. Ruinen Typ b) der transitorische Raum, würde hier Gefahr laufen, brutal zynisch zu wirken. Und genau gegen diese polit-pornografischen Bildpolitiken wehrt sich Horst Bredekamp in seinem Palmyra-Aufsatz. Er beklagt, dass der selbsternannte IS die Ruinen von Palmyra als wirkmächtige Filmkulisse für ihre Hinrichtungen missbraucht, gerade auch im Hinblick auf deren Bedeutung für den Westen. Hinrichtungen, nach denen die Kulisse anschließend selbst noch vernichtet wird. Ein Ikonoklasmus neuer Art, jenseits von Avantgarde-Taktiken. Gleichzeitig plädiert Horst Bredekamp, wie in seinem Berliner Kindl-Vortrag, dafür, die Ruinen mithilfe von 3-D-Printern zu rekonstruieren. So nennt er die „intelligente“ Wiederherstellung des Berliner Schlosses im gleichen Vortrag, als gelungenes Beispiel. Jeder, der den „Palast der Republik“ in seiner schönsten Abrissphase, als die verwaisten Versorgungstürme als magische Säulen den Stadtraum teilten, erlebt hat, verachtet die jetzige Lösung. Berlin hätte innehalten sollen. Das ist mein Vorwurf. Vielleicht ist das nicht möglich bei solchen Prestigeprojekten, obwohl es beim BER ja vorgemacht wird. Innehalten, um auf jede Abrissbauphase reagieren zu können. Das wäre eine künstlerische Herangehensweise, wie das Malen eines Bildes. Eine, die verspricht, dass man durch andere Umgangsform vielleicht auch zu anderen Freuden, Fühlen, Denken und Architekturen kommen kann. Der Westen hat die Deutungshoheit über die Geschichte und deren Ruinen. Das gilt im Fall von Palmyra wie beim Palast der Republik. Der Einsatz unterschiedlicher Ruinentypen, wie sie Zimmermann vorschlägt, ist also immer auch ein politischer. Wobei die Ruine selbst den Kompromiss symbolisiert und eine geschichtsbewusste Denkfigur darstellt. Mit dem Berliner Stadtschloss retten die Befürworter was eigentlich? und zerstören gleichzeitig den Glauben, der Gegenwart Ausdruck verleihen zu können, indem sie die Vergangenheit „vermeintlich“ originalgetreu nachbauen. Dass die Gegenwart mit der Nord-Ost-Fassade im Stil des Brutalismus zitiert wird, macht den Bau nicht besser. Sie zeigt, dass sich Gegensätze nicht notwendigerweise auch gegenseitig aufladen. Architektur ist, allgemein gesprochen, Hardware. Architekturfotos und -zeichnungen die Software und Worte Soft Skills. Zwischen ihnen gibt es ein feines Beziehungsgeflecht. So geht die Ordnung der Worte, die der der Dinge vorausgeht. Was unsere Liebe zur Poesie vielleicht erklärt, werden mit ihr doch rätselhafte, magische, mystische, atmosphärische oder geheimnisvolle Ordnungen geschaffen. In einem ganz bestimmten Moment und einem ganz bestimmten Licht, schwer zu wiederholen. Kai Vöckler widmet sich jenen, die uns an andere Ordnungen glauben lassen: Künstler. In seinem kunstgeschichtlichen Essay-Band „Architektur der Abwesenheit“ zeigt er von Brueghel über Robert Hubert bis Peter Eisenmann, archigram, Gordon Matta-Clark und Robert Smithson künstlerische Arbeiten zum Thema Ruinen-Bau. Es ist ein feiner, intelligenter und kurzweiliger Querschnitt von Arbeiten in verschiedenen Medien. Auch er zeigt, dass die Ruine als Metapher noch nicht verbraucht ist. Und die künstliche Ruine noch immer als Denkfigur taugt, wohl ahnend, dass das Fragment der heile Teil der Moderne ist.

Christoph Bannat

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Henneberg_(Nachbau)

 

Reinhard Zimmermann

Künstliche Ruinen: Studien zu ihrer Bedeutung und Form

Isd, 1989

 

https://d-nb.info/890010722/04

 

Thomas Hirschhorn »Never Give Up The Spot«

19. Oktober 2018 – 3. Februar 2019

Museum Villa Stuck

 

HORST BREDEKAMP:

DAS BEISPIEL PALMYRA.

Verlag Walther Koenig, Köln 2016.

Vortrag: http://www.kindl-berlin.de/bredekamp/

 

Kai Vöckler

Die Architektur der Abwesenheit oder Die Kunst, eine Ruine zu bauen

Parthas, 2009