10. November 2018

Vermisst

 

Am 9. September kommt die Meldung, dass auf dem KreuzfahrtschiffAidalunaim Nordatlantik ein Mann über Bord gegangen sei. Augenzeugenberichten zufolge soll es sich dabei um Daniel Kaiser-Küblböck handeln, er wird seither vermisst. Die näheren Umstände sind bislang unklari.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in der Regel nicht über Suizide und versuchte Selbsttötungen, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. »Erste Anlaufstelle für Menschen in Krisensituationen ist die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800/1110111 oder 0800/1110222 erhalten Betroffene Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten«ii, lautete der Zusatz in mehreren Zeitungen zum Verschwinden von Daniel Kaiser-Küblböck.

Laut einer Studie von Steven Stack von untersuchten Selbstmorden zwischen 1985 und 1992 verzeichnen die Künstler, im Vergleich aller Berufsgruppen, die meisten Selbstmorde. Dabei nehmen sich signifikant viele Schauspieler, Schriftsteller, Maler, Bildhauer und Fotografen das Leben, die Häufigkeit der Reihenfolge nach. Lediglich die Sparten Tanz und Musik befinden sich prozentual etwa im Bevölkerungsdurchschnittiii.

»I don´t want anybody in or out of my family to see any part of me«iv, schrieb Evelyn McHale in ihrem Abschiedsbrief, bevor sie 1947 aus dem 86. Stock des Empire State Building sprang, wonach sie, als die wohl schönste Leiche, am 12. Mai 1947 das Cover des Life Magazins zierte.

Bemerkenswert, dass sie noch nach ihrem Tod ihr Erscheinungsbild kontrollieren wollte, hätte es ihr als Toten doch eigentlich egal sein können, was die Lebenden denken. Doch gerade diese retrospektive Weitsicht, über den Tod hinaus, führt zum Kern von Thomas Machos Buch »Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne«. Es gibt, gerade bei Künstlern, die Vorstellung von einer Gesamtheit des Selbstbildes, die auf eine Art Leben(s)-Werk-Idee hinweist. Paradoxerweise vereint der Selbstmord als symbolische Handlung diese, indem er Symbol und unwiderrufliche Handlung miteinander verschränkt.

Öffentliche Massenmedien, die sich den Anschein vor Seriosität geben möchten (wie die Süddeutsche Zeitung), veröffentlichen den oben genannten Zusatz. Dahinter steht die Angst vor Nachahmungen, aber immer auch das Gefühl der »im Leben Zurückgelassenen«, nicht genügt zu haben. Selbstmord ist ein Affront gegen die Gesellschaft, die es nicht schafft, ein Gebilde zu entwickeln, dass für alle lebenswert ist. Selbstmord ist zwar nicht mehr strafbar, wird aber zunehmend biologisiert. Auch davon berichtet Thomas Macho in seinem über 500 Seiten umfassenden Kompendium. Er beschreibt den Selbstmord als eine Kulturtechnik der Moderne. Das Smartphone ist wie der Taschenspiegel, eine Erfindung des 18. Jahrhunderts, eine Form der Selbsttechnik. Und von diesen Techniken gibt es heute mehr denn je: Vierzehnjährige, die morgens ihr Erscheinungsbild, mit dem sie tagsüber wirken und wahrgenommen werden möchten, digital kontrollieren. Es gibt Leben, um die muss man sich kümmern, und solche, die sich ständig um sich selbst kümmern. Künstler gehören bekanntlich zur zweiten Kategorie. Sie arbeiten beständig daran, ihrem Leben einen festen symbolischen Rahmen zu geben. Dabei sind Sendungsbewusstsein, Authentizität und Originalität wichtige Parameter der Selbststilisierung. Doch auch Jesus hat nicht den ganzen Tag Jesus sein können, auch wenn er diese Parameter vorbildhaft erfüllt haben soll. Dabei ist das Wesen des Kunstschaffens, dass es kein endgültiges Werk gibt. Kein finaler Satz, Bild oder Geste. Es gibt nur ein, meist unausgesprochenes, imaginäres Ideal, mit einem Erlösungsversprechen in Anführungszeichen, dem nahezukommen die treibende Kraft ist. Wichtig, Macho spricht in seinem Buch nicht von Verrückten und jenen, die körperliche Schmerzen nicht mehr ertragen und sich dann umbringen. Wenn Gunter Sachs sich, nach der Diagnose Demenz, umbringt, zählt er als Lifetime-Performer, schließlich war er hauptberuflicher Sohn, natürlich auch zu den Künstlern. In diesem Sinne ist auch Daniel Küblböck ein Künstler auf der Suche zwischen A und O, Authentizität und Originalität, auf dem Feld der Popkultur. Seine Selbsttechniken waren offensichtlich, das haben ihm Teenies und eine 70-jährige Frau Kaiser gedankt. Seine Fans, aber auch jene arrogante Hochkulturschickeria, die ihn hasste, wussten, dass er recht hat, dass auch er heimlich einer von uns, ein Künstler, war. Er ist eben kein Vollpfosten wie Dieter Bohlen, der zeitweise sein Mentor war. »Ich will nicht, dass irgendjemand (…) einen Teil von mir zu sehen bekommt.«Evelyn McHales Abschiedswunsch gilt auch für Daniel Kaiser-Küblböck. Er ist jetzt ozeanisch, oder kosmisch, ein Sternchen am Himmel, dem Archiv der Stars. Am 3. September 1981 betont Foucault, in einem Gespräch mit dem Filmregisseur Werner Schroeter, dass es »nichts Schöneres«gebe als den Selbstmord, »über den man mit größter Aufmerksamkeit nachdenken sollte«v. Doch gerade das verneint der Kunstbetrieb. Im und durch den Betrieb wird z. B. Kunsterziehung als Heilmittel, Therapie und Erziehungsmaßnahme propagiert. Der Selbstmord als ein Teil des erweiterten Kunstbegriffs kommt in dieser Kunstideologie nicht vor, ist aber eine kulturelle Spiegeltechnik, so Thomas Macho, die gerade von dieser Berufsgruppe gelebt wird. Mir hat, und tut es immer wieder, Machos Buch gutgetan. Denn es ist wieder einmal festzustellen, dass der Tod etwas für die Lebenden ist. Kümmern wir uns also drum.

Christoph Bannat

 


Thomas Macho: Das Leben nehmen - Suizid in der Moderne, Suhrkamp 2017

Süddeutsche Zeitung, https://www.sueddeutsche.de/panorama/daniel-kueblboeck-kreuzfahrtschiff-vermisst-1.4122832

ii Süddeutsche Zeitung, Anmerkung der Redaktion, https://www.sueddeutsche.de/panorama/daniel-kueblboeck-kreuzfahrtschiff-vermisst-1.4122832

iii Thomas Macho, Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne, Suhrkamp 2017 ( 9/11 sic)

iv Wikipedia: Evelyn McHale

Thomas Macho, Das Leben Nehmen, S.332

Thomas Macho, Das Leben Nehmen, S.348,

Michel Foucault, Gespräche mit Werner Schroeter, Schriften in vier Bänden, Bd.4