31. Januar 2004

Lechts oder Rinks ?

 

Der Todestrieb ist keine Erfindung von Sigmund Freud, sondern eine Wunschphantasie aus dem frühen 19. Jahrhundert. Man hatte die Französische Revolution hinter sich, den Kopf noch an seinem „rechten“ Fleck, und man saß vermutlich irgendwo als Exilant im Ausland fest. Joseph de Maistre, der letzte Vertreter und Denker der Gegenreformation, verbrachte zum Beispiel schöne Abende in St. Petersburg, als Botschafter des sardinischen Königs.

Die Zeit war lange vorbei, wo er Frankreich den Königsplatz in der Rekatholisierung der Welt zugedachte. Und gerade in Frankreich brach die Zeit des „Menschen“ an. Diese unerhörte Arroganz der Selbstermächtigung. Die Verwerfung der überkommenen Gesetzestafeln. Der Tanz um das Goldene Kalb, in dem sich Pandora versteckte, die endlich die Hoffnung aus der Kiste ließ. Wie schön waren dagegen die gerechten Zeiten der heiligen Inquisition, insbesondere in Spanien, wie genial die lang erprobte und genauso lang naturalisierte Position des Papstes als Mittler der zwei Welten.

Damals wusste man noch um die nicht-physikalischen Gesetze der Statik. Der Gedanke der Evolution war noch nicht gesponnen. Einige Auserwählte, die noch keine Meisterdenker waren, wussten, dass dem Menschen nicht zu helfen war. Weder Reformation noch Revolution konnten den Fall rückgängig machen. Besser also, gar nicht erst an so etwas wie Initiative, Problembewusstsein oder Selbstverwirklichung, diesen Gipfel der lächerlichen Selbstverkennung, rühren. Denn wer einmal aufgewacht ist aus dem heilsamen Dämmerschlaf der von ganz oben abgesegneten Ignoranz, wird nicht glücklich, bis er die Möglichkeit bekommen hat, so weit zu gehen, dass er die Einsicht gewinnt, dass er überall auf dem Holzweg ist.

Das ist dann die weise Position von Cioran, von dessen „Syllogismen der Bitterkeit“ in diesem sehr schön zu lesenden Essay nichts mehr übrig geblieben ist. So ganz nebenbei erhält man eine sanfte Lektion in Enthysterisierung. Dabei muss man keineswegs die Seiten wechseln, um sich womöglich erneut mit den Freuden der floralen Existenz anzufreunden. Denn der Todestrieb funktioniert ja nur als Phantasma. Aber wir begreifen mal wieder, weil wir ja so vergesslich sind, dass das Konzept „Zukunft“ immer noch der verlässlichste Fetisch einer Zeit ist, die in der Verkürzung der Etappen paradox verbirgt, dass wir wie Zenons Schildkröte nichts anderes machen, als stumpf auf der Stelle zu treten, im Unterschied zu damals aber kein Achilles bereit steht, der die Kröte einfach mal wegkickt. Oder ist hier noch irgendjemand zu finden, der Sciencefiction Ernst nimmt?

Es gab mal einen anderen Griechen, Themistokles, der auf der Suche nach einer Theorie des Vergessens nach zugefügten Beleidigungen war (klingt sehr freudianisch, aber das heißt ja nur, dass man da nicht wirklich weitergekommen ist). Joseph de Maistre hat zwar diese Theorie nicht geschrieben, aber er hat sich zumindest selbst noch einmal eine nette Geschichte von der Zeit vor dem Sündenfall erzählen können. Ciorans Pointe ist, dass man auch dann die Konsequenzen des Sündenfalls zu spüren bekommt, wenn man gar nicht daran glaubt. Das ist vielleicht sein finsterster Syllogismus, aber er tut alles, um ihn schön zuzudecken.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>E.M. Cioran, Essai sur la pensée réactionnaire. A propos de Joseph de Maistre</typohead>