30. Januar 2004

Ein Held gegen die Welt

 

Ein Theaterstück, Célines einziges, immerhin mit klassischen fünf Akten, ca. 1926/27 geschrieben, aber erst nach Célines großem Erfolg mit „Reise ans Ende der Nacht“ 1936 in Lyon uraufgeführt. Ein Stationendrama, und die Stationen wird man in seinem ersten Roman, der „Reise“, wieder finden: Afrika, New York, ein Vorort von Paris. Sogar der Name der Hauptfigur wird übernommen, Bardamu. Dieser stellt im Auftrag des Völkerbundes, des Vorgängers der Vereinten Nationen, Untersuchungen in einer französischen Kolonie an. Bardamu glaubt einen Fall von Lungenpest entdeckt zu haben. Das passt dem Verwalter gar nicht. Das würde zu viel Aufsehen erregen, ökonomisch nicht vertretbar sein. Im zweiten und dritten Akt ist man mit Bardamu in New York, zunächst im Büro eines Tanztheaters, dann beim Völkerbund, der auch nicht mehr das ist, was er vielleicht nie war. Ein einziges Gechinche. Natürlich auf höchstem diplomatischem Niveau.

Interessant, dass auch drei Juden auftauchen in nicht ganz unwichtigen Positionen und mit sprechenden Namen, so heißt einer Yudenzweck, Direktor der Kompromiss-Abteilung, einer Mosaic, der dritte Moise, Direktor der Indiskretions-Abteilung (aber bitte, das Stück nennt sich eine Komödie und ist auch in keiner Weise ein antisemitisches Kampfstück). Hier macht sich einer über die komplette westliche und östliche Welt lustig (mehr allerdings über die westliche). Bis auf eine Person, eben Bardamu, der auch hier bei seiner Vermutung (Lungenpest) bleibt und die Konsequenzen zu tragen hat, etwas später kennt der Leiter der Kompromiss-Abteilung schon nicht mehr seinen Namen, der Mohr hat seine Schuldigkeit nicht getan und muss deshalb gehen. Der vierte und fünfte Akt spielt in einem Vorort von Paris, Bardamu, mit Vornamen (wie später auch alle seine Helden) Ferdinand (wie Céline), behandelt arme Leute, weil er es mit den so genannten Gesunden einfach nicht mehr aushält. Alle wollen so superschlau sein und – o weh – die Juden sind für Bardamu die Intelligentesten: Muss man jetzt mit knallharter Logik den modus ponens bis zum bitteren Ende durchziehen? Céline also doch eine antisemitische Sau von Anfang an? Keine Gnadenfrist bis 1937, bis zum „Massacre“? Die „Reise“ im Grunde auch schon unterminiert, und man hat es nur noch nicht gemerkt?

Nein, das einzige, was man feststellen muss, ist, dass dieses Stück nicht wirklich überzeugt, es ist viel zu lang, es wundert einen nicht, dass es damals von allen Verlagen, denen es der Autor angeboten hatte, abgelehnt wurde, und das einzige Interesse heute wäre wohl zu sehen, wie viel von der „Reise“ schon in der „Kirche“ steckt. Warum überhaupt „Kirche“, kommt ja gar nicht vor als Lokalität. Kirche, Religion, falsche Ewigkeiten, so heißt es an einer Stelle, dagegen die Schönheit, die Schönheit der Frauen, vor allem die der Tänzerinnen, die tatsächlich diagnostizieren zu können, die Schönheit, man Arzt sein muss, der dann natürlich auch gleich weiß, dass jede Schönheit vergänglich ist, aber dass die Schönheit der Tänzerin das einzige ist, was es überhaupt rechtfertigt, auf dieser Welt zu sein. Ah ja.

 

Dieter Wenk

 

Céline, Die Kirche, Gifkendorf 2002 (Merlin)