11. Mai 2018

Landscape as Art and Urbanism

 

Kein Zweifel, Roberto Burle Marx ist der Landschaftsarchitekt der jüngeren Geschichte schlechthin, mit wohl über 3000 Projekten zugleich einer der meistbeschäftigten und meistausgezeichneten. Der Brasilianer ist in seiner langen Karriere dafür verantwortlich, dass überhaupt so etwas wie die Gestaltung der "Umwelt eines Gebäudes" in den Fokus der Wahrnehmung gerückt ist. Quasi im Alleingang, ohne formelle Ausbildung und über Jahre als Einziger seiner Zunft in Brasilien hat er prinzipiell alles mitgestaltet, was man hat können in einer von heftigen Bauperioden heimgesuchten als auch beglückten jungen Republik. Jeder kennt Brasília, dieses Mekka von Niemeyer, Costa, Reidy und wie sie alle hießen, auch deren prägende Bauten in Río, Sao Paulo oder Belo Horizonte oder Niteroi, und alle kennen damit auch Burle Marx. Denn auch ohne die Geläufigkeit dieses Namens ist sein Promenadenpattern von zum Beispiel der Copacabana-Front oder Flamengo oder die Dachgärten vom Capanema eine Ikone. 

 

Seine enigmatische Persönlichkeit, deren immense Schaffenskraft in Gestaltung und Ausformulierung wohl ohne Pendant bleiben wird, hat zeitlebens wenig Worte veröffentlicht. Er hat gemalt und dann mit Pflanzen und Materialien gemalt, experimentiert, sie sprechen lassen. 

 

Dachte man. Umso erstaunlicher ist nun diese Publikation bei Lars Müller Publishers, eine Lecturesüberschriebene Monografie, die treffend eingeführt und editiert von Gareth Doherty erstmals Zugang zu einigen von Burle Marx gehaltenen Vorträgen bietet. Begleitet von einem ausgezeichneten Fotoessay von Leonardo Finotti am Anfang und Ende des schlichten Handbuchs, der einen pointierten Überblick zum Maßstab und dem Vokabular des Gestalters anbietet – mit einigen gut gewählten Hochperspektiven aus der Drohne – kommen wir Burle Marx fließender Sprechart näher. Tatsächlich weit entfernt davon, Theorie im hergebrachten Sinne zu sein, wiederholt sich Burle Marx im Prinzip laufend zu einigen wenigen originären Thesen. Zum einen zu seinen "Roots", Brasilien, wie sollte es anders sein, und deren nie endende Komposition aus Spezies, der artenreichsten Flora der Welt, seinen Widersprüchen und "teaches in nature", die Burle Marx als Reflexionsmaterial absorbiert, auf zahllosen Trips und Reisen in die Inventarzonen seines (gemalten) Heimatlandes, und zum anderen seiner eigenen formellosen Herangehensweise mit der Warnung, nicht an Formeln zu kleben, sondern an Erfahrung zu glauben, die nicht müde werden sollte, an Neugier festzuhalten. Er hat das zeitlebens vermocht und offensichtlich die Spuren zu sich selbst verweigert, oder wie es Herausgeber Gareth Doherty formuliert: "He did what he wanted." 

 

Er malte als Landschaftsarchitekt. Ob da ein Auftraggeber war, spielte eigentlich keine Rolle, solange es einen Auftrag gab, einen Ort und das Signal zum Loslegen. Dass Burle Marx in späteren Vorträgen sehr wohl von der gesellschaftlichen Verantwortung seiner Aufgabe spricht und nicht unintelligent formuliert, ändert jedoch wenig daran, dass hier ein Originalgenie spricht. Was bekanntlich selten den besten/offensten Zugang zu sich selbst weist. So erfahren wir eher etwas über Roberto Burle Marx' Persönlichkeit, seine engagierte Art zu sprechen, seine Besorgnisse im Allgemeinen zwischen Mensch und Natur, eben seiner Abneigung dem Formelhaften gegenüber, sowie auch seine interessante eigene Genese aus dem Studium europäischer Gewächshäuser und Gärten wie zum Beispiel Dahlem heraus und der Malerei der frühen Moderne. Burle Marx ist eine Legende, wie Jobim, Senna, Niemeyer Legenden sind, und seine Werke müssen gesehen, gerochen, erfahren werden. Die Lecturessind dennoch eine bibliophile, ansprechende Näherung an ihn und kommen verlegerisch zum richtigen Zeitpunkt.

 

Jonis Hartmann

Roberto Burle Marx: Lectures. Lars Müller, Zürich 2018

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