25. Februar 2018

Digitaler Niederschlag

Am Strand. Text und Bild zur Zukunft. Ausgabe 2 „Endlich Wolken“
Marie-Eve Levasseur

 

Das Magazin „Am Strand. Bild und Text zur Zukunft“ widmet sich in seiner zweiten Ausgabe den unausgeschöpften Potenzialen des Digitalen.

 

Es dominiert der Eindruck, dass die Mehrzahl der künstlerischen oder diagnostischen Ansätze zur Annäherung an das Digitale genauso oberflächlich bleibt wie die Handhabung der devices im Alltag der meisten Userinnen. Selbst auf der Vienna Biennale des vergangenen Sommers, die sich unter dem Titel „Roboter. Arbeit. Unsere Zukunft“ der „digitalen Moderne“ widmen wollte, sah man hauptsächlich Werke, die sich der digitalen Evolution von ihrer möglichen Anwendbarkeit näherten. Produkte, wie im 3-D-Drucker hergestellte Plateauschuhe, verkörperten die technischen Potenziale und wiesen sie damit zugleich in ihre Schranken. Die Beiträge der zweiten Ausgabe des Magazins „Am Strand“ bilden die Gegenseite dieser Vewertungslogik und brechen mit der Vorstellung, dass sich das Digitale in den Geräten bereits verwirklicht hätte.

Über die Illusion, die der Verdinglichung des Digitalen zugrunde liegt, schreibt Richard Hees in seinem Beitrag den so zutreffenden Satz: „Es sind die physischen Manifestationen des Digitalen: die Serverfarmen, Rechenzentren und Kabelanschlüsse, aber vor allem die kleinen befremdlichen Hybride aus Aluminium, Plastik und Glas auf unseren Schreibtischen, die für unsere Ohnmacht vor dem Nicht-Raum herhalten müssen.“ Was sich hinter der repräsentativen Dimension des Digitalen verbirgt, lässt sich als das gemeinsame Interessenfeld der Beiträge beschreiben. Bereits mit dem Titel „Endlich Wolken“ legen die Herausgeber dabei nahe, dass sie das Unbestimmte wünschen. Entsprechend heißt es im Editorial von Richard Groß, der gemeinsam mit Ludwig Geßner das Magazin herausgibt, dass die Ausgabe auch ein Versuch sei, die „Unsichtbarkeit digitaler Evolution sichtbar zu machen und auszuloten“.

In den Bildern von Marie-Eve Levasseur wird dieses Suchen nach dem Fremden im Digitalen zu einem ästhetischen Vorzeichen. Auf den vier Doppelseiten verlässt den Betrachter die Gewissheit um Raum und Zeit, die er gewohnt ist, als definierende Faktoren eines fotografischen Bildes anzunehmen, und betritt eine Welt, die bisher der Maschine vorstand. In ihr ist die menschliche Haut nicht weniger digital als die Oberfläche, die sie berührt. So sind die Bilder, die die Schnittstelle zwischen menschlichen und technischen Attributen in den Fokus nehmen, wie von einem posthumanen Auge gemacht. Levasseur wechselt in ihrer Arbeit die Perspektive und zeigt uns die Epidermis, wie sie von einem digitalen Organismus gesehen wird: als eine gerenderte Fläche, deren Oberfläche sich aus Daten zusammensetzt.

Von dem veränderten Blickregime, in dem der Mensch seine Zeugenschaft mit den Sensorien der Technik teilt, gehen auch einige der wissenschaftlichen Essays aus. In seinem Artikel „Das Digitale und der Körper“ beginnt Jonas Hermanns mit der Überlegung, dass die Verunsicherung der menschlichen Autonomie im Gleichschritt mit der technischen Abstraktion verlaufe. Mit Vilém Flusser bringt er den „Zweifel an der Solidität der dinglichen Welt“ ins Spiel und beschreibt ihn als eine historische Variable geistiger Weiterentwicklung in Abhängigkeit gesteigerter technischer Abstraktion. Die gegenwärtige Entwicklung des Digitalen dürfe man demnach nicht als Bruch mit allem Gewesenen deuten, sondern als Evolution, in dessen Vollzug sich auch das geistige und körperliche Gebilde Mensch verändert.

Caro Eibl erzählt in ihrer Bilderstory von diesen digitalen Realitätseffekten auf die Liebe. In den animierten Bilder, die mit Zeilen wie „I trust IG that it gives me exactly what i need at exactly the right time“ untertitelt sind, spielt sie durch, wie Instagram die Begehrens- und Begegnungsmuster mitbestimmt. Selbstvergewisserung findet nicht mehr zu Hause vor dem Spiegel, sondern im anonymen Kollektiv der Fremdwahrnehmung statt. Dass die Identitätsbildung in sozialen Medien wie Instagram dabei noch immer so häufig über Porträts ablaufen, ist eine der historischen Konstanten, die in Eibls Bildern als Ausdruck eines Zeitvakuums zutage tritt. Der Farbfilter verleiht dem Gesicht den Anschein von Lebenserfahrung, wobei nicht das organische Altern, sondern die Bildgebung die Haut einfärbt und faltet.

Die in die drei Unterkapitel „Neue Wirklichkeiten“, „Phänomene der Wolken“ und „Nach den Wolken“ eingeteilten fünfzehn Beiträge der Ausgabe unterscheiden sich in ihrer Form, weisen inhaltlich in ganz verschiedene Richtungen und vermitteln in ihrer Zusammenstellung dennoch eine klare Vorstellung von der Diversität, die im Digitalen im Entstehen begriffen ist. In etwa gleich gewichtet, machen die Essays und die künstlerischen Beiträge den Eindruck, als verkörperten sie die unterschiedlichen Aggregatzustände eines digitalen Niederschlags. Was leicht in einem fantasievollen Beschreibung zusammensacken könnte, bleibt aufgrund der hohen Qualität der einzelnen Beiträge ein jeweils griffiges Ideengeben, Vorstellen, Spekulieren, Wünschen und Kritisieren im Feld der Digitalität. So wie Tocotronic in ihrem Song die „Wolke der Unwissenheit“ das zuckende Feuer, „das den Wunsch zum Leichtsinn hat“, besangen, sind auch die Beiträge von diesem Impuls durchtrieben – nur ihre Quelle ist nicht mehr hölzern, sondern das aquatische Fließen digitaler Wolkenbänke.

Bernhard Jarosch

 

Am Strand. Text und Bild zur Zukunft. Ausgabe 2 „Endlich Wolken“, 10,50 Euro, Leipzig 2017.

Ludwig Geßner (Hg.), Richard Groß (Hg.)

Autorinnen: Caspar-Fridolin Lorenz, Jule Rettschlag, Richard Hees, Zsolt Miklósvölgyi, Márió Z. Nemes, Dirk Baecker, Emilio Vavarella, Charlotte Eifler, Katrin Esser, Caro Eibl, Manfred Fassler, Niklas Büscher, Alan Bolumar, Alexander Göbel, Marie-Eve Levasseur, Fabian Hampel, Linda Marwan, Mark Fridvalszki, Simon Waskow, Jonas Hermanns, Jakob Claus.

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