14. Februar 2018

Mehr als Bauen

 

Für den Berliner Architekten Francis Kéré, der aus Burkina Faso stammt und wie aus dem Nichts den renommierten Aga Khan Award 2004 bekam, ist seitdem eine Welle aus Bewunderung und Beauftragungen in Gang getreten. Kéré baut an mehreren Projekten zugleich in Afrika, Deutschland und China. Der Katalog zur Ausstellung Radically Simple im Architekturmuseum der TU München ist die erste umfassende Monografie über das Werk dieses faszinierenden zeitgenössischen Architekten. Sie schafft es, das Besondere, fast Enigmatische und Genialische des Aufstiegs von Kéré als Diplomand in Berlin und gleichzeitig Architekten einer Schule in Gando, Burkina Faso, zu einem weltweit anerkannten Praktiker nachvollziehbar zu machen. Dabei stützt sie sich nicht nur auf eine Chronologie der Gebäude und Projekte des Architekten, sondern versteht es, mit verschiedenen Essays zu Herkunft und Persönlichkeit, den außergewöhnlichen Weg dieses „modelosen, sozial engagierten und partizipativ operierenden“ Architekten nachvollziehbar zu machen. Sein visionäres Handeln, seine Courage und seine Weitsicht bei der Ausführung der Projekte machen ihn zu einer wohltuenden Ausnahmeerscheinung innerhalb eines umkämpften, geldbestimmten Statusmarkts namens Architektur. Sein Werk besitzt eine inspirierende Strahlkraft, die durch Radically Simple hervorragend ausgeleuchtet wird.

Der Band wechselt zwischen Essays von Wegbegleitern und Theoretikern mit gut fotografierten Projektbildern und aussagekräftigen Plangrafiken, in selbsterklärendem Layout und mit eigens gestalteter Typografie. Die Projekttexte sind gut lesbar und entwickeln, trotz mancher Redundanz (der Band ist allerdings nicht darauf ausgerichtet, von vorn nach hinten gelesen zu werden, sondern lädt vielmehr zum Springen und Verweilen ein), ein hohes Maß an Respekt für die nicht immer einfachen Baubedingungen Burkina Fasos, und wie es Kéré versteht, als Mediator, uralte Bautechniken neu zu ertüchtigen und die einheimische Bevölkerung zur Partizipation aufzufordern, sich die neueren Techniken selbst zu eigen zu machen.

Interessant ist, wie Kéré in der Lage ist, mit jedem neuen Projekt seine eigene Bautensprache zu verfeinern, ihr jeweils neue Elemente abringt, die nicht nur clever und äußerst günstig in alle Richtungen anzuwenden sind, wie mit Minimalzement um ein Vielfaches haltbarer gemachter Lehm als Baumaterial, die Verwendung von nachhaltigen Lateritziegeln oder aus Billigstahl geschweißte filigrane Tragwerke und Neuinterpretationen von Windtürmen und natürlicher Klimatisierung, sondern dass er auch vor scheinbar völlig konträren Herausforderungen nicht zurückschreckt, Pop-up-Stores im kapitalintensiven Retail-Bereich oder Pavillons in Museen zu gestalten. Der Band zeigt Kérés ganze Palette an Formschaffen, lässt ihn selbst zu Wort kommen, und als Leser versteht man schnell, dass auch viel beschworene Parallelen zu sogenannten „vernakulären Architekten“ wie Hassan Fathy u. a. nicht greifen, denn Francis Kéré baut, wie er selbst unterstreicht, unabhängig von Gattungsbezeichnungen und Tags, die ihn stets in wie auch immer geartete Modewinde tauchen würden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Bauten Kérés sind Resultate des Verfügbaren und der Anforderungen, mit dem einfachsten, d. h. klügsten Ausführungsweg an den jeweiligen Orten – völlig unabhängig von Meinungen, Historie oder gar theoretischen Annäherungen. Partizipation und eine radikale „Hier geht’s lang“-Entwurfsstrategie mit klarem Auge und reduzierter, non-ornamentaler Umsetzung zeichnen den Pragmatiker Kéré aus, und es ist äußerst spannend zu sehen, wohin es den Charismatischer, der es u. a. geschafft hat, den „Fitzcarraldo“-Visionen eines Christoph Schlingensief im sogenannten „Operndorf“ eine halbwegs anthropomorphe Sinnfälligkeit abzuringen, noch treiben wird, um einen radikal anderen, nachhaltigen Architekturansatz durchzusetzen.

Jonis Hartmann

 

Francis Kéré: Radically Simple, 978-3775742160, Hatje Cantz, Berlin 2016

 

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