3. Juli 2017

Der Heimatinstinkt und Die Einsamkeit der Wüste

 

Zwei Naturkunden

 

In der Reihe "Naturkunden" sind bei Matthes und Seitz zwei neue Bände erschienen, die sich gegenseitig inhaltlich zu bedingen scheinen. Auch äußerlich ähneln sich Der Heimatinstinkt und Die Einsamkeit der Wüste. Von Judith Schalansky herausgegeben, erfreut sich die Reihe einer aufmerksamen Buchgestaltung mit jeweils unterschiedlicher Typo und wechselnden Formaten. Manchmal ist die Reproqualität das einzige Manko der Bücher, doch ansonsten ist die Gestaltung auf extrem hohem Niveau: angenehm anzufassen, gut zu lesen und minimalistisch im Einsatz ihrer Mittel, Edward Abbeys Wüstenband mit den stilisierten Fotografien noch eine Nasenlänge eindrucksvoller gegenüber dem auf wenige Illustrationen reduzierten Heimatinstinkt. Inhaltlich lohnen beide nicht weniger. Sie sind dem Genre nature writing zugehörig, obwohl von gänzlich unterschiedlichen Standpunkten aus. Während Heinrich als Wissenschaftler schreibt und sich kaum davon löst, durchgängig den Willen des Forschers zum Forschen erkennen lässt, schreibt Abbey, der spätere Autor solch spektakulärer Literatur wie The Monkey-Wrench Gang (mit Graphic-Guru Robert Crumb), zwar aus der alten Aussteigerperspektive, die auch schon Thoreau, Muir oder Henry Miller einnahmen, aber letztlich mit demselben Drang zu forschen. Er hat sich für ein Jahr als Park Ranger in Utahs Wüstenpark The Arches anheuern lassen, auf einsamem Posten in einem Camper. Er versieht seinen Job, schreibt an neuen Romanen, aber eigentlich forscht auch er. Begibt sich auf permanente Streifzüge durch die eindrucksvolle Landschaft, erkundet sein neues Territorium und philosophiert. Wo der seinem Wesen nach eher konservative Heinrich neben seinen Beobachtungen und Feststellungen zum Wandertrieb der Tiere gerade die innere Notwendigkeit vieler Spezies zum Wandern und Navigieren hervorhebt, ist es Edward Abbey selbst, der dem von Heinrich entgegengestellten Beispiel Mensch entspricht: besessen davon, ein Heim zu errichten, in seiner Wüste. Mit Hausschlange und Veranda. Heinrich selbst streut Anekdoten über Spinnen, Frösche, Kraniche ein. Schreibt von Expeditionen nach Surinam, und ganz nebenbei scheint sein eigener Charakter durch als wertkonservativer Hüttenbewohner, leidenschaftlicher Gärtner und interessanterweise auch passionierter Jäger, der kein Problem am Töten von Tieren hat - was auch in den nüchternen Schilderungen von zum Teil grotesken Experimenten mit Tieren im Dienste der universitären Forschung zum Vorschein kommt. Seine Prosa ist detailreich, sehr gut lesbar, aber letztlich etwas spannungsarm. Trotz der vielen staunenswerten Leistungen aus dem Reich der Tiere, besonders auf dem Gebiet der Navigation und des Heimbaus. Edward Abbey dagegen ist knarzig, zynisch und selbstgerecht. Auch er tötet Kaninchen mit Steinwürfen, nur um zu gucken, ob es klappt - "ich prüfe meine Seele: Sie ist weiß wie Schnee", wie es an der Stelle heißt. Voller Widersprüche berichtet er über die Zerstörungen der blinden Zivilisation, zieht über erzbelämmerte Touristen her, flicht dazu großartig erzählte Episoden in sein Reisetagebuch ein. Wie zum Beispiel die Tatsachengeschichte über die beiden Uranprospektoren(!) Mr. Graham und seinen Partner Husk oder die Geschichte über das mondblinde ausgerissene Riesenpferd Moon-Eye, das er vergeblich einzufangen versucht, oder wie bei einem Viehtreck immer dieselbe Kuh in den Treibsand gerät und mühsam herausgezogen werden muss ("50 Dollar-Vieh!"). Insgesamt sind beide Autoren sehr widersprüchlich und darum mit Gewinn zu lesen. Keiner von beiden schreibt Erwartbares. Sie sind hymnische Naturverehrer mit gleichzeitig fragwürdigen Attitüden, die aus ihrem Leben und ihren Herzensprojekten zu erzählen wissen.

 

Jonis Hartmann

 

 

Bernd Heinrich: Der Heimatinstinkt. Matthes Seitz 2016. ISBN 978-3-95757-332-2

Cohen+Dobernigg Buchhandel

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Edward Abbey: Die Einsamkeit der Wüste. Matthes Seitz 2016. ISBN 978-3-95757-355-1

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