20. Mai 2017

Henry James

Henry James: Bild und Text, Piet Meyer Verlag 2016
Heumarkt: Märtyrer, 1886
Erwin A. Abbey: The fenzy and what came out o fit, 1877, Holzstich "Harper´s Weekly"
Charles S. Reinhardt, View about Pittsburgh, 1871, Holzschnitt "Harper´s Weekly"

 

Wojtek, der polnische Twen und Teilzeitarbeiter, hat mich mit seiner Frage nach dem Ursprung der 1.-Mai-Randale in Kreuzberg drauf gebracht. In Polen ist der 1. Mai ein Staatsfeiertag. Laut Wiki hat er seinen Ursprung in den ersten australischen Arbeiterstreiks von 1858, auf den sich der Generalstreik am 1. Mai 1886 in den USA bezog. Es ging um die Durchsetzung des 8-Stunden-Arbeitstags.

Der Piet Meyer Verlag hat wieder ein wunderschönes Buch herausgebracht. Seit Jahren macht er die vornehmsten Bücher. Einzigartig recherchiert. Lesefreundlich gestaltet, mit sachdienlicher Typografie, übersichtlichem Satzspiegel und feinen eingeschossenen, sich dezent farbig absetzenden Zwischentiteln. Überhaut kennzeichnet diese Bücher eine durchdachte Farbigkeit. So, wenn das satte Gelb der Vorsatzseiten mit dem matten Grün des leinenkaschierten Buchdeckels kontrastiert sowie der gelbe Prägedruck des Titels die Vorsatzseiten zitiert und diese auf den Titel verweisen. So geschehen bei „Bild und Text“ von Henry James. Ich muss gestehen, ich hab nur zwei Bücher aus dem Piet Meyer Verlag. Die aber haben sich über meine Fingerspitzen in mein haptisches Gedächtnis eingeschrieben. Bücher, die so bequem in der Hand liegen, dass man sie nicht weglegen möchte. Deren Seiten sich beim Lesen in vorauseilendem Gehorsam wunderbar blättern lassen und deren zarter Prägedruck wiederholt von den Fingerkuppen erforscht werden will. Ich besitze Alfred Jarrys Biografie von Alastair Brotchie und jetzt Henry James „Bild und Text“, herausgegeben von Michael Glasmeier und Alexander Roob. Roob ist einer der, wenn nicht der führende Kopf bzw. Sammler von Zeitungsreportageillustrationen und Karikaturen. Sein wichtigstes Medium ist die Website www.meltonpriorinstitut.org. Henry James (1843–1916), im angelsächsischen Sprachraum verehrt, außerhalb weniger bekannt ... oh menno, soll ich jetzt die journalistische Leier zu James anschlagen, mit „Wissenswertem aus der Welt der Literatur“ – leck mich Muse – ich hör doch nicht umsonst täglich Cecil Taylor, ich meine, den späten.

Mit dem Piet-Meyer-Buch erscheinen erstmals James’ Texte (Erstveröffentlichung: 1893) zu Illustration als Kunstform auf Deutsch, mit einem Kommentartext der Herausgeber.

Es ist die Zeit der Hardcore-Sozialisten, der Präraffaeliten, der aufsteigenden Impressionisten, der Industrialisierung, des rasant zunehmenden Zeitungswesens, der Erfindung der Fotografie, der Liebesheirat, des verarmenden Adels, des aufsteigenden Bürgertums, der Popularisierung von Museumsbauten, des Kolonialismus und der Vernichtung des Proletariats durch Arbeit. In England steht John Ruskin für den politischen Scheideweg all dieser unterschiedlichen Bewegungen. Dass es auch andere Künstlergruppen jenseits der Ikone Ruskin gab, davon erzählt dieses Buch, mit Schwerpunkt auf Zeitungsillustration, Reportagezeichnung und Karikatur. Ab 1884 richteten sich im englischen Broadway nahe von Kelmscott, Shakespeares Geburtsort, eine mehrheitlich amerikanische Künstlergruppe ihren Stützpunkt ein. Schnell merkten sie, dass England nicht weniger karriereförderlich war als beispielsweise Paris. Henri James beschreibt ihre illustrative zeichnerische Tätigkeit, oft für amerikanische Zeitungen. So hebt er, wohl als Erster, die Zeitungillustration, einem oft als banal abgetanem Medium, überhaupt erst in den Stand der Kunstbetrachtung. Edwin A. Abbey, Charles S Reinhart , John. S. Sargent, Alfred Parson sind die auf dem Kontinent wenig, in England und Amerika umso mehr beachteten Künstler. Aufgeladen wird James’ essayistische Sammlung mit dem auch auf dem Kontinent verehrten Franzosen Honoré Daumier. Dazu gibt es einen Essay über das wichtige „Schwarz/Weiß“ und ein freies James-Stück. Alexander Roob wäre mit seiner Analyse- und Verlegertätigkeit nicht eine solche Kapazität, zöge er nicht auch eine feine politische Linie. Fein mit seiner Bildpolitik, wenn er anhand Abbeys Holzstich des Generalstreiks von 1877 die sozialistische Seite Amerikas, auch wenn der Text sich gegen den Streik richtete, zitiert. Veröffentlich wurde der Stich in „Harper’s Weekly“, in der auch viele von James’ Fortsetzungsgeschichten veröffentlicht wurden, bevor sie als Buch erschienen. Die sprichwörtlichen „Yesterdays Papers“, die Flaggschiffe des Banalen auf dem Meer der Information, werden bei Roob und James zu Schnittstellen der Reflexionen über Intersubjektivität (Wahrheit und Poesie, bei James) und Zeitgeschehen. Beide, James und Roob, schöpfen aus dem Reservoire des Banalen und nutzen den Museumsmythos ewiger Werte. Denn wo sonst soll Roobs Sammlung bewahrt werden als in einem Museum und wo sonst James Beobachtungen zum niederen Genres der Illustration Beachtung finden als bei jenen Gesellschaftsschichten, die Zugang zu musealen Weihen haben – bei Honoré Daumier hat das ja geklappt. Aber nur ein Buch wie dieses kann die Komplexität solcher Fragestellungen umfassend darstellen. Unter anderem mit Verweisen zu van Goghs Überlegungen, selbst als grafischer Korrespondent für eine amerikanische Zeitung zu arbeiten.

Das 19. Jahrhundert zeigt, wie mithilfe einer verdammt schnellen Industrialisierung (Karl Marx: Maschinen erzeugen Maschinen) die Kultur des Menschen, nun mehr unübersehbar, zu seiner zweiten Natur wird. Heute sehen wir das, am Ende des Zeitalters des Kapitalismus, alles viel klarer und schämen uns der Menschen, die unserem unsinnigen Glauben an dies System zum Opfer fielen.

 

Christoph Bannat

 

Geschieben am 1. Mai 2093, dem Cecil Taylor Day.

 

 

PS: Das tiefgründigste Buch von Henry James ist „Die Schätze von Poynton“ von 1897. Bitte betrachten Sie als Leser die Sammlung der Kunstgegenstände und Möbel von Mrs Gereth einmal als angehäuftes Kapital, vielleicht kommt man der Idee von Güte und Achtung so ein Stück näher.

 

 

Bild und Text

James, Henry (Autor) / Glasmeier, Michael (Herausgegeber) / Roob, Alexander (Herausgegeber) / Roob, Alexander (Nachwort) / Bandel, Jan-Frederik (Übersetztung)

ISBN 9783905799354

Piet Meyer Verlag 2016

 

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