2. Oktober 2016

Friendship Centre

 

Dass in Bangladesch, einem Land, das in der öffentlichen Wahrnehmung oft mehr Problem als Substanz zu haben scheint, teils extrem gelungene Architektur entstehen kann, ist spätestens seit der „Invasion und Adapation“ westlicher Architektur zu Händen von LeCorbusier, Louis Kahn, Maxwell Fry und anderen durch lokale Architekten wie Balkrishna Doshi, Muzharul Islam, Geoffrey Bawa und anderen zu einer west-östlichen Synthese wohlbekannt. Schon seit einiger Zeit entstehen durch eine jüngere Generation von Baumeistern wie Studio Mumbai oder Kasheef Chowdhury erstaunliche Bauwerke auf dem Subkontinent, von denen Chowdhurys Serie für die Bildungs-NGO Friendship wohl sicherlich die zurzeit bedeutendsten sind.

Park Books hat mit dem Architekten selbst zusammen eine Publikation herausgebracht, die sein Friendship Center in einer abgelegenen ländlichen Region im nördlichen Bangladesch zum Thema hat. Nicht nur ist die Architektur kolossal interessant: ein rotes Ziegelgebäudelabyrinth, das überraschenderweise nicht über dem zu erwartenden Überschwemmungsniveau des Landes, sondern aus Budget-Gründen darunter erbaut worden ist. Der ins Land eingelassene Komplex aus Seminar-, Aufenthalts-, Schlaf- und Ruheräumen nebst verzahnten Innenhöfen mutet als Wasserfilter und Damm oder Fort wie eine direkte Fortführung Kahnscher Ideen von Masse, Monumentalität, Schwere, zirkulierender Luft, Licht und kühlender Wasserarchitektur an. Mit wenigen Worten: Der Komplex ist eine fantastische Mischung aus intelligent, zeitgemäß, archaisch und einfach. Das Buchdesign führt diese Gedanken fort. Minimalistisch, ist es eigentlich eher ein Foto-Essay. Die Fotografien Hélène Binet hat reduzierte, wirkungsvolle Bilder des Komplexes bereitgestellt, die ganz auf die Wirkung von Raum, Material und Lichtzusammenspiel ausgerichtet sind. Ohne Kommentar oder Bildunterschrift wechseln sie sich mit wenigen stark kontrastigen Plänen, Schnitten und Ansichten ab, die fast beiläufig, vollkommen klar und verständlich das Wesen dieses faszinierenden Gebäudes transportieren. Ein einführender Essay von Kenneth Frampton führt unaufgeregt in die Post-Kahnsche Landschaftswelt und den Kosmos Chowdhurys ein, während ein Interview mit ihm selbst den Abschluss des Bandes bildet. Besonders gelungen an der Interview-Zusammenstellung sind die fotografischen Kommentare zu den baulichen Referenzen des Architekten – frühe buddhistische Klosterkomplexe der näheren Umgebung, bei deren ziegelrotem Anblick inmitten sattgrünem Terrains sofort ein inspirativer Verständnisfunke gezündet wird. Überhaupt ist der starke Miteinbezug der Umgebung in der fotografischen Dokumentation eher ungewöhnlich für eine Gebäude-Monografie. Die Reisfelder, die Landarbeiter und dörflichen Strukturen um das Friendship Center nehmen großen Raum ein und vermitteln damit äußerst anschaulich Chowdhurys tief in der Kultur des Ortes verwurzelte Ansätze auch in dem kuratorischen Konzept des Buchs weiter.

Wer bei Bangladesch nur an überflutete Sweatshops, chaotische Straßensituationen und überfüllte Pendlerzüge gen Dhaka denkt, wird mit dieser Publikation eines anderen belehrt. So wie zuvor der Parlamentskomplex Louis Kahns in der Hauptstadt, ist räumlicher Friede auszubilden jederzeit in jedweder Situation einer guten Architektur möglich. Dies vermittelt das Buch mit jeder Seite.

 

Jonis Hartmann

Kashef Chowdhury – The Friendship Centre

116 Seiten. Park Books. Zürich 2016.

ISBN 978-3038600213

 

 

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