17. Juni 2016

Zwei Schwalben machen noch keinen Frühling

Katalog, Villa Merkel, Better than de Kooning. Von links nach rechts: Jana Euler, Basil Woverton, Maria Lassnig
Katalog, Villa Merkel, Better than de Kooning. Von links nach rechts: Amy Sillman, Metamorpho, Amy Sillman
Anna Haifisch, The Artist
Anna Haifisch, von Spatz, Ausschnitt
Anna Haifisch, Hockney-Verweis
Anna Haifisch, The Artist, Heftrücken


Von der Frühjahrsmüdigkeit ins Sommerloch, aus der Herbstdepression in den Winterschlaf

 

In den 90ern war die deutsche Provinz besser denn je. Alle strengten sich an, um ins Zentrum der Beachtung, nach Berlin, zu kommen. Was derzeit fürs Theater galt, würde ich heute gern für den deutschen Comic behaupten. Aber zwei Schwalben machen noch keinen Frühling. Und die heißen Anna Haifisch aus Leipzig und Max Baitinger, ebenfalls Leipzig. Und wenn vonhundert, das einzige freie Berliner Kunstmagazin, für das auch ich schreibe, einen Arsch in der Hose hätte, hätten sie schon längst Anna Haifisch als Zeichnerin engagiert. Beide Zeichner wurden von Rotopolpress aus Kassel verlegt. Die sind mehr als nur Verleger, sondern auch Fans, Ausstellungsmacher und Illustratoren. In Bezug auf Anna war Marcus Weber, mein Künstlerkollege, wieder einmal Tippgeber. Der hat zuletzt einen einzigartig guten Katalog zu seiner Ausstellung über das Morphen in freier Kunst und Comic mit dem Titel „Better than de Kooning“ (wurde auf Textem von mir besprochen) herausgegeben.

 

Künstler zu beschimpfen ist einfach. Zum Beispiel als sich selbst erregende Leidpinsel oder Qualklassiker. Bedeutungsfanatiker und Abfallfantasten. Echtheitsfetischisten mit Wahrhaftigkeitsfimmel. Prädikatmenschen mit Originalitätsaufschlag. Überwindungsschwindler und Authentizitätsplunderproduzenten. Wahrhaftigkeitspinscher gestenreicher Heilspütscherei. Einhandsegler auf den Meeren des mentalen Kapitals. Echtheitsfeudel im Sozialkeller. Verölte Weihwassersozialisten. Vielfaltsdödel an den Schleusen des Uneigentlichen. Mitleidsdummies. Wasserträger mit Feudaltick. Berufsromantiker im Adelsfuddel. Laubenpieper im Seelenschlamm. Pathospatentaten. Erbschaftsangehörige. Blitzeichen im Zeichengewitter. Halbleiter im Formalgezwitscher. Arschhelmträger. Samtkissenfurzer. Wattwurmpieker der Befindlichkeit. Sluüsenwachter der Gemütlichkeit. Hansdämpfe in allen Bewusstseinsgassen. Antragspoeten. Gassenhauer der Geselligkeit. Kraftmeier der Melancholie. Netzwerker der Häuslichkeit . Stipendiumsritter und was weiß ich noch alles. Und ein Tropfen Verständnis ist immer auch dabei.

 

Anna Haifisch: »The Artist«, Reprodukt, 14 Euro

Besser, da vielschichtiger: Anna Haifisch: »von Spatz«, Rotopolpress 18 Euro

 

In „von Spatz“ treffen sich ausgebrannte Comiczeichner und freie Künstler in einer Nervenheilanstalt, die von Walts Assistentin bei deren Ankunft in „Pavillon der Visionäre“ umbenannt wird. Und in diesem ironisch-sarkastischen Grundton geht es weiter. Nun schlägt die Wirklichkeit bekanntlich jedes Klischee, werden doch Psychiatrien bereits neudeutsch als Gesundheitszentren bezeichnet. Die Pavillons der Visionäre liegen im kalifornischem Santa-Monica-Tal nahe Los Angelos, hier trifft Walt Disney auf weniger bekannte Comickünstler, alle in unterschiedlichen Tiergestalten. Auf dem Pavillongelände gibt es eine Kunsthalle, einen Laden für Zeichenbedarf und ein Pinguinbecken. Ganz ungestört sollen die Künstler sich hier nur ihrer Kunst/Therapie widmen können. In der ersten Sitzung erzählt Walt von seinen manischen Anfängen, der Arbeit mit Ub Iwerks, dem Aktzeichnen mit Reh (großartige Idee) und seiner Schaffenskrise als Zeichner und Künstler. Was zunächst albern als „Einer flog übers Kuckucksnest“-Sitzung beginnt, entpuppt sich schnell als vielschichtiger Bildungscomic, dies aber ohne den geringsten Dunst von Bildungsarroganz zu verströmen. Ich vermute, die 1986 in Leipzig geboren Anna Haifisch ist eine Bildungsbürger-Tochter. Im Comic – Gott sei dank nicht in der freien Kunst – hat sie ein Medium zur Kulturkritik gefunden. Für mich ist sie der heimliche Gegenentwurf zur „Leipziger Schule“. Wo diese dick auftragen, spinnt sie eine feine Verweisstruktur. Sie zitiert Zitatgesten, verknüpft diese mit Design- und Architekturverweisen, Lebensmittelfetischen und Literaturbezügen. Konkret: Von einem Saul-Steinberg(der bekanntlich unter Depressionen litt)-Zitat über den Pfleger, der Stimme von „unten“, Eames-Stühlen, Sushi und Wasserflaschen hin zu Corbusier, der neben C. Barks, den Mumins und Anderson Rücken an Rücken, neben selbst gemurkelten Knetskulpturen im Regal steht. Nein, diese Zeichnerin ist nicht naiv, sie weiß genau, was sie macht, und sie zeichnet sich etwas von der Seele. Betrachten wir mal die Seele als die Summe unseres bisherigen Lebens. Das ist die Metastruktur, dieses auf den ersten Blick lapidar erscheinenden Comics. Denn wie ist das Steinberg-Zitat, „Bei einer psychischen Erschöpfung kann ein Pinguin ein treuer Kamerad sein“, zu verstehen wenn auf dem Pavillongelände ein Pinguinbecken steht (in Anbetracht des sonnigen Santa-Monica-Tals), auf dessen Beckenrand wiederum zwei verlassene Coffee-to-Go-Becher zu sehen sind? Oder Arnold Böcklins Toteninsel-Zitat, ein Original hängt in Leipzig, zu David Hockneys „großem Spritzer“ (Bigger splash), welchen sie in banales Plitsch übersetzt. Arnold Böcklin und David Hockney, die sentimentalen Kitschnudeln zweier Kontinente und Zeiten, Europa und Amerika. Ich könnte endlos so weiter spinnen. Kauft das einfach und wühlt euch selbst ins Heft ein. Versucht selbst die Verbindung zwischen Disneys EPOC, Gott (Dios)Disney, dem reichsten Zeichner aller Zeiten, und der Bauhausmoderne herauszufinden. Mein Verdacht: Die hellsichtige Anna Haifisch hat das alles selbst durchlebt. Ein feiner, toller Kopf, mit einem weiten Bewusstsein und rührend banalen Zeichnungen.

 

Upps – jetzt hab ich die zweite Schwalbe Baltinger vergessen – kauft euch den schon mal. Er wird schnellstmöglich auf Textem besprochen.

 

Christoph Bannat

 

 

Better than de Kooning

Kat. Villa Merkel

Ausstellungskatalog, hrsg. von Andreas Baur und Marcus Weber

Texte (dt./eng.) von Andreas Baur, Esther Leslie, Marcus Weber sowie eine E-Mail-Konversation von Marcus Weber mit Peter Saul
152 S. mit 50 s/w und 120 farbigen Abbildungen
Format 28 x 21 cm, Klappenbroschur

ISBN 978-3-86442-137-2, 29,80 €