20. Dezember 2015

Erika, Elmar und Karl Franz

 

Ein Hochstapler ist ein Snob, der sein Renommiergehabe klug einzuklammern weiß, weil der Gewinn, um den es ihm geht, nicht rein symbolischer Natur ist. Beiden ist die Tendenz nach oben gemeinsam. Der Snob sucht die fremden Namen auf, die ihn wärmen. Der Hochstapler treibt sich so lange durch Selbsttaufe in die Höhe, bis das Zeremoniell zu durchsichtig wird und er woanders neu beginnen muss. Der Snob sucht die Kontinuität, die er dann auch glaubt gefunden zu haben, was ihn latent zu einer lächerlichen Figur macht, der Hochstapler ist ein von seinen eigenen Machenschaften Getriebener, der immer wieder von vorne anfangen muss und, obwohl er ein Blender ist, anderen, die nicht betroffen (geschädigt) sind, Respekt abgewinnt. Es ist die Selbstinszenierung des Hochstaplers, die ohne den Schutz des wie auch immer anarchisch gebrochenen Bühnenraums gerade bei denen Bewunderung auslöst, für die eine solche Lebensweise keine Option darstellt. Ein Dasein auf hohem Spannungsniveau, das mit dem Lebenscliché ausgezeichnet zu operieren versteht und die Sehnsüchte und Projektionen der anderen zu realen Einsätzen macht.

Die Hochstaplergeschichte, die Erika Tophoven unter dem Titel Godot hinter Gittern zu lesen gibt, ist nicht erfunden. Der Mann, um den es darin geht, ist wahrscheinlich schon längere Zeit tot und wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter dem Namen Karl Franz Lembke auf der Insel Wangerooge als Sohn eines Gefängniswärters geboren. Den snobistischen Teil der Geschichte des KFL, wie er von Erika Tophoven oft liebevoll genannt wird, erfährt sie von ihrem Mann Elmar Tophoven, der in den 50er Jahren berühmt wurde durch Übersetzungen u.a. von Samuel Beckett. Warten auf Godot wurde in der Tophovenschen Fassung zum ersten Mal im Schlossparktheater in Westberlin gegeben, ein gutes Jahr später auch in der Anstaltskirche der Justizvollzugsanstalt Lüttringhausen, hier in der Übersetzung eines gewissen Karl Franz Lembke, der auch gleich als Schauspieler mitwirkte. Der offensichtlich äußerst charismatische Knastbruder Lembke hatte den Gefängnisgeistlichen von sich einnehmen können, was auf diesem Sektor vielleicht auch nicht allzu schwer war. Sensationellerweise gelang es KFL danach, mit seinen schauspielernden Gefangenenkollegen Becketts Stück auch auf dem Evangelischen Kirchentag in Frankfurt am Main zu spielen. Beckett selbst soll gerührt gewesen sein, als er von diesem besonderen Schicksal seines Stückes erfuhr, das die Gefangenen als "ihr" Stück verstanden und spielten. So weit der snobistische Tropf, an dem wir alle hängen. Erika Tophoven (und nach ihr der Leser) hat Lunte gerochen. Das Weitere ist nicht so einfach aus dem Schriftstellerarchiv zu rekonstruieren.

Auf jeden Fall scheint so viel klar zu sein, dass sich hinter dem Snob ein Hochstapler bewegt. Erstaunliches fördert Erika Tophoven auf ihrer Odyssee einer nachträglichen Ortung dieses Schicksals zutage. Sollen wir die Leute bedauern, die Lembke auf den Leim gegangen sind? Oder sie ob ihrer Zutraulichkeit belächeln? Im Laufe der Lektüre wird etwas anderes virulent: Man möchte diesen Mann selbst gekannt haben, gesehen haben, wie er "das" machte. Diese Wirklichkeit vermögen natürlich auch die Fotos nicht einzufangen, die KFL in dem Buch zeigen. Aber den Coup, der dem Skandal am nächsten kommt, hebt sich Erika Tophoven bis zum Schluss auf. Er hat mit dem finstersten Kapitel deutscher Geschichte zu tun. Aber eben: Ist es wirklich ein Skandal? Lieber Leser, entscheide selbst!

Dieter Wenk (12-15)

 

Erika Tophoven: Godot hinter Gittern. Eine Hochstaplergeschichte, Berlin 2015 (Verbrecher Verlag), Hardcover, 144 Seiten, mit Abbildungen, 21 €

 

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