2. November 2015

Parcours durchs Denken

Dieter Krieg
Comic-Wand
Peter Saul/Michel Majerus
Maria Lassnig
Mathias Schaufler
Sue Williams (Ausschnitt)

  

Künstler sind die besseren Kuratoren, das zeigt die Ausstellung „Better than de Kooning“. Sie sind es dann, wenn sie rückhaltlos subjektiv ihrer Leidenschaft folgen und es dabei noch schaffen, diese mit einer persönlichen Verweisstruktur zu verbinden. Marcus Weber schafft das, indem er uns mit der Ausstellung auffordert, seinem künstlerischen Denken zu folgen: Im Sinne von John Malkovich heißt es hier Being Marcus Weber, für die Dauer einer Ausstellung. Es geht dabei um Malerei, Morphing und Comic, Karikatur und Zeichentrickfilm, kulturelle und gesellschaftliche Empfindlichkeiten, irgendwo zwischen dem frühen Peter Saul, Basil Wolverton, Jack Coles Plastic Man und Dieter Kriegs kontrollierten Öl-Orgien.

 

Alle Jahre wieder versuchen Kuratoren, Comic und freie Kunst zusammenzubringen, von New York, Moma "High and Low", 1990 und 2007 "Comic Abstraction", bis Bremen, Weserburg-Museum: Kaboom! 2013. Dabei geht es immer wieder um Kunst-Hierarchien. So wird der Blick aus den Kunsthallen ewiger Werte in die Niederungen des banalen Alltagsgeschäfts geworfen, in der nun mal die besten Comics entstanden; auf Zeitungsseiten und lustigen Blättern, später in Groschenheften und Fanzines, von Wilhelm Busch, McCay, Herrimann, Frank O. King bis Robert Crumb und Chris Ware.

 

Der Titel "Better than de Kooning" irritiert, denn es geht hier nicht direkt um ihn. Und wen interessiert heute ein "Besser als ..."? Heute, in Zeiten, in denen das gut ist, was erfolgreich ist, und was erfolgreich ist, auch als gut gilt? Und wer war das überhaupt, de Kooning? Nicht doch nur ein weiterer Toter wie Klee oder Kandinsky. Dass de Kooning Ende der Fünfziger der wichtigste Maler der Moderne war, ist vielleicht nur noch in Amerika ein Bildungsstandard. Dass er dem abstrakten Expressionismus, der Kunstrichtung, die in seiner Zeit die ästhetische Nachkriegswestwelt-kunstmeinungsführerschaft innehatte, wieder die Figur zuführte, war sein Verdienst. "Zermalt" nennt Marcus Weber de Koonings großspurige Frauenbilder. Damit beschreibt er jene Geste, die zeitgleich schafft und zerstört, und wem das zu pathetisch klingt, mindestens aber entgrenzt: Als würde die Figur, auf halbem Weg ihrer Entstehung bereits in Auflösung begriffen, souverän stehen gelassen. Also ein gemorphtes Bild, im Zustand zwischen sowohl und als auch. Noch nicht ganz und doch so viel, dass nichts zu fehlen scheint, verweisend auf ein Vor- und Nachbild. Oder als Fragment, das für ein heiles Ganzes steht. Wobei bekanntlich das Fragment der heile Teil der Moderne ist: In diesem Sinne ist de Kooning modern.

 

Nur wird hier kein de Kooning, sondern der Gegenspieler Peter Saul ausgestellt, der diesen zu banalisieren versuchte. Dieser Spur, vom Superkünstler und seinem ästhetischen Widersacher, geht Marcus Weber nach, von den Fünfzigerjahren bis heute, und zwar, was man so noch nie gesehen hat, mit Verweisen auf den Comic. In diesem Medium ist das Morphen, zumindest in zwei Phasen, dem Verzerren und die Arbeit mit Zwischenbildern, eine Selbstverständlichkeit (fehlt nur das Überblenden, um die Merkmale fürs digitale Morphing zu erfüllen). Dabei trennt die Ausstellung nicht zwischen dem (malerisch) gestischen Vorgang des Morphens, der (seriellen) Darstellung von Metamorphosen im Comic, der dabei nie seine Konturen verliert, oder der Darstellung des Amorphen als Unding (so gilt das Amorphe bezeichnenderweise als das Formlose): Die Ausstellung zeigt, dass lange bevor Salvador Dali seine erste Uhr morphte, die Darstellung dieses Vorgangs im Comic eine Selbstverständlichkeit war.

 

Im Katalog knüpft Marcus Weber noch weitere Parallelen von freier Kunst und Comic, weist Einflüsse und gesellschaftliche Zusammenhänge nach. Die Ausstellung selbst versteht sich als Malerei-Ausstellung, Comics sind hier als Kopien oder Hefte hinter Glas zu sehen. Doch ist sie gerade umso erstaunlicher, da zur gleichen Zeit in Frankfurt die 80er-Jahre-Malerei-Ausstellung und in München im Brandhorst-Museum "Printing 2.0" noch laufen. Esslingen behauptet sich gegen die Großstädte mit feinen exquisiten Bildern von Jim Shaw, ein Star in Amerika, Peter Saul, dem klassischen Anti-Kunst-Künstler, Dieter Krieg, dem ehrlichen Arbeiter im Öl-Feld, Maria Lassnig und vielen mehr. Dabei sind es nicht nur die (großen) Namen, sondern gerade die Qualität der von ihm gewählten Bilder, mit denen Marcus Weber es schafft, seinen ausstellungsrhetorischen Trick, beide Genres mit einem unausgesprochenen Oberbegriff zu verbinden, so mit Sinn aufzuladen, als säßen sie an einem runden Tisch und steckten die Köpfe zusammen. Die relative Unschärfe zwischen der Darstellung des Amorphen, von Metamorphosen, des Morphings und des Amorphen an sich, erlebt der Besucher hier als denkerische Schärfe: Kunst kann die Vorzeichen umdrehen. Und so ist diese Ausstellung ein erhellender Parcours durchs Denken von Marcus Weber.

 

Christoph Bannat 

 

»Better than de Kooning«

Villa Merkel, 11. September – 15. November 2015