8. Oktober 2015

Jubiläumsband

 

Hans Joachim Schädlich begann seine Karriere in der DDR als Sprachwissenschaftler. Er wurde 1960 in Leipzig promoviert und war bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR in Ost-Berlin. Ende der 60er Jahre begann er zu schreiben. Prosastücke. Hauptadressaten dieser Texte waren Lektoren des Hinstorff Verlages, Rostock, der u.a. Autoren wie Franz Fühmann oder Ulrich Plenzdorf verlegte. Die Reaktionen der Lektoren auf die literarischen Proben Schädlichs waren ambivalent. Auf der einen Seite wurde das literarische Talent gesehen, auf der anderen Seite musste man zur Kenntnis nehmen, dass der vielversprechende Autor kein Vertreter des sozialistischen Realismus war. Die Taktik für die kommenden Jahre: Hinhalten. Manchmal werden Termine abgesagt, manchmal wird ziemlich deutlich gesagt, dass der Stoff ein wenig zu offen kritisch daherkommt. Mal ist Schädlich stolz, mal ratlos.

Das hier vorliegende Prosafragment Catt, das zu Hans Joachim Schädlichs 80. Geburtstag (8.10.) publiziert wird, verdankt sich literaturverwalterischer Zermürbungstaktik. Irgendwann hatte Schädlich es aufgegeben, weiter an dem Text zu arbeiten, von dem ca. 60 Seiten vorliegen. Etwa die Hälfte davon wurde in den 90er Jahren zum ersten Mal publiziert, im Rahmen einer Anthologie ("'Nach zwanzig Jahren waren alle Helden tot'. Erste Schreibversuche deutscher Schriftsteller"), für die Krista Maria Schädlich, die Frau des Schriftstellers, verantwortlich war. Was der Leser jetzt, als Veröffentlichung des Verbrecher Verlags, in den Händen hält, ist ein Rekonstruktionsversuch des Romanprojekts, für den Krista Maria Schädlich auf den Vorlass des Autors im Deutschen Literaturarchiv Marbach zurückgreifen konnte. Jeder wird sich sein Teil denken, warum den Lektoren dieser Text, der noch ganz in der Entwicklung war und als Fragment auch nicht als Einheit präsentiert wird, ein zu heißes Eisen war. Da verschwindet etwa eine junge Frau, Janina, spurlos, bislang Assistentin am Kunsthistorischen Institut der Universität. Sie hatte einen Freund in Westberlin. Catt, die sich als Taxifahrerin in Ost-Berlin Geld verdient, macht sich auf die Suche nach ihrer Freundin. Natürlich wird die Geschichte nicht als ostdeutscher Abenteuerroman erzählt. Dafür gibt es zu viele Haken, an denen sich die Geschichte immer wieder aufhängt. Einmal ist zum Beispiel Catt in einer Kneipe. Ihr fallen zwei Männer auf. Am Ende des kurzen Absatzes, der diese Szene festhält, heißt es:

"Ich kenne die beiden nicht. Ich saß zu weit entfernt, ich habe nicht verstanden, was sie gesagt

haben. Sie sahen ruhig aus. Sie können sogar befreundet gewesen sein.

Ich kenne die beiden. Ich saß nahe genug, um sie zu verstehen. Sie sahen nur so ruhig aus."

Der Leser kann nachvollziehen, dass man die literarische Formalisierung eines bestimmten Klimas in der DDR nicht auch noch unterstützen wollte. Die Reißleine zogen die Apparatschiks, als sie Hans Joachim Schädlichs Namen unter dem Protestbrief gegen Biermanns Ausbürgerung aus der DDR im Dezember 1976 lasen. Schädlich wurde aus der Akademie entlassen, es wurde gefährlich für ihn. Im August 1977 erscheint sein viel gerühmter Band Versuchte Nähe – in Westdeutschland, bei Rowohlt. Im Dezember 1979 wird seinem Ausreiseantrag stattgegeben. Catt. Ein Fragment zeigt, dass es in einem Land, das ganz auf Kontrolle und Transparenz setzte (jedenfalls in der einen Richtung), keine unschuldige Literatur geben konnte. Finden lässt sich immer etwas.

Schön, dass der Verbrecher Verlag diesen kleinen Band mit Krista Maria Schädlich (mit einem sehr informativen Nachwort von ihr) herausgegeben hat. Und wir wünschen Hans Joachim Schädlich alles Gute zum 80. Geburtstag.

Dieter Wenk (10-15)

 

Hans Joachim Schädlich: Catt. Ein Fragment, hrsg. und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich, Berlin 2015 (Verbrecher Verlag), 112 Seiten, 19 €

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon