8. Juni 2015

I JUST WANT A PICASSO

 

Am 31. 3. 2015 eröffnete in den kernsanierten Deichtorhallen »Picasso in der Kunst der Gegenwart«. Eine Ausstellung, auf Blockbustererfolg hin getrimmt: Im Titel den großen Maler; Synonym der Moderne, Genie und Prominenter, Erfinder jener Tauben, Gitarren und Frauengesichter, die heute Krawatten, Postkarten und Kühlschrankmagnete zieren. In der Künstlerliste das Who is Who der »zeitgenössischen« Kunst: Baselitz, Darboven und Kippenberger, Liechtenstein, Lassnig, Meese, Polke, Sherman und Warhol – über 200 Arbeiten von 91 Künstlerinnen und Künstlern füllen die Nordhalle, sie alle sind »aktuelle künstlerische Positionen, die von Picasso einfach nicht lassen können«1. Sie alle haben – früher oder später – Zitate, Persiflagen und Analysen des modernen Künstlers und seiner zu Ikonen gewordenen Gemälde geschaffen, sie arbeiten sich ehrfürchtig oder beiläufig, ironisch oder selbstkritisch, zufällig oder gequält an ihm ab. So viel hat man bei einer Durchsicht der Werkliste schnell verstanden. Doch warum und woher dieses Interesse an Picasso eigentlich? Was suchen die Künstler in der Beschäftigung mit Picasso und was denn bitte erwarten sich die Deichtorhallen in der Beschäftigung mit den mit Picasso beschäftigten Künstlern?

        Dirk Luckow schlägt im Vorwort des Katalogs folgende These vor: »Picassos Kunst hat heute deshalb eine so große Wirkung …, weil sich Werk und Person nicht auseinanderdividieren lassen und das Werk dadurch exemplarisch erscheint. Es ist unter politischen wie formalen Gesichtspunkten gleichermaßen faszinierend und aktuell geblieben. Picassos Biografie, angesiedelt zwischen Formexperiment, Geschlechterkampf und Weltpolitik, zwischen rauschhaftem Sinnenfest und Tragödie, baut mit ihren fast allseits bekannten Aspekten Erinnerungsbrücken zu jenen Werkfacetten, die Künstler bis heute mit Picasso assoziieren und die bei der Schaffung ihrer Werke sowohl auf der inhaltlichen und narrativen als auch auf der formalen Ebene eine Rolle spielen.«2 Ein bisschen Geniekult, ein bisschen (viel) Biografismus und vage Allerweltsbegriffe werden damit der Ausstellung vorangestellt. Picasso, der ultimative (Lebens-)Künstler, Exot und Draufgänger, dient als handzahmes Vorzeigeexemplar für alles, was man sich von Kunst im Allgemeinen so verspricht: Leidenschaft, Emotionalität, Authentizität.        

 

        »Ja, Picasso, seine Kunst, sein Mythos könnten nicht ausdrucksvoller und vielgestaltiger zurückkehren als in dieser Ausstellung.«3 Was im Text bereits nach einer maskierten Picasso-Retrospektive klingt, löst sich beim Besuch der Ausstellung widerspruchslos ein. In der Halle bewegt man sich zwischen Doppelgängern, Kopien und Zitaten; mit einem nahezu enzyklopädischen Anspruch auf Vollständigkeit wird »Gegenwartskunst« in einer kuratierten Schlagwortsuche (Suchbegriff: Picasso) durchdekliniert. Der Gang durch die (die Halle in Kammern teilenden) Flure lähmt, die nicht enden wollende Repetition formaler Analogien ermüdet – haben Fragmentierung und Kubismus einst provoziert, verstört oder irritiert, so werden sie hier zur wiedererkennbaren Fährte in der Schnitzeljagd durch das Gelände der »jungen« Kunst. Paralysiert hangelt man sich von Werk zu Werk, von Künstler zu Künstlerin, stets die eine Frage im Kopf: Wo ist hier der Picasso versteckt? Den Ausstellungsbesuchern wird dabei noch ein didaktisches Hilfsmittel zur Hand gestellt: mobile Lehrtafeln mit Reproduktionen der Originale, also der Picasso’schen Vorbilder, erleichtern die Zuordnung – eine Aufstiegshilfe für den Triumph der Gebildeten, für das köstliche Glücksgefühl des eigenen Wissens.  Die Ausstellung wird zum raumgreifenden Suchbild – Zeitgeschichte, Gattung und Medium der einzelnen Arbeiten (ihr sogenannter Kontext) lösen sich ineinander auf und werden von PICASSO verschluckt – man sieht den Baum vor lauter Wald nicht mehr.

            Zweifelsohne birgt die Auswahl nicht wenige interessante Positionen – wird eine Arbeit wie Hanne Darbovens »Hommage a Picasso« jedoch derart dreist von ursprünglich 270 auf 6 Tafeln reduziert, eine Rauminstallation zum beispielhaften Auszug verkürzt, so dient das weder dem Verständnis der Künstlerin, noch der Regie der Ausstellung. Ähnlich missverstanden und unglücklich präsentiert erscheint Kader Attias »Peau noire Masque blanc«. Für eine Ausstellung in Paris entwickelte Kader Attia 2013 eine Installation in einem schwarzen Raum mit Lichtspots und einer afrikanischen Ritus-Maske, deren Gesichtspartie er mit Scherben aus Spiegelglas verkleidet und erweitert hatte. Der Spiegel, gleichermaßen Instrument der Selbstbetrachtung wie Großbegriff der westlichen Kunstgeschichte, bricht, färbt sich durch seine Umgebung schwarz, wirft das weiße Licht in Scherben durch den Raum und zeigt den Betrachtern eine Fratze ihrer selbst. In den Deichtorhallen wurde auf einen Großteil der Installation verzichtet, die »Maske« stattdessen als dekontextualisiertes »Werk« mitten in einem hell erleuchteten Ausstellungsraum gezeigt.4 Zeigt das zersplitterte Spiegelglas auf diese Art nichts anderes als ein Dutzend weitere Picasso-Reflexionen, steht das geradezu symptomatisch für die gesamte Ausstellung.

 

            Erschlagen von der schieren Menge, Vielteiligkeit und Redundanz der Auswahl greift man zum offiziellen Handout. Die Werke und Künstler werden in sieben Kategorien geordnet – dabei scheint vor allem nach lexikalisch-biografischen Begriffen vorgegangen worden zu sein. So werden neun der ohnehin nur dreizehn beteiligten weiblichen Künstlerinnen unter dem kümmerlichen Schlagwort »Picasso aus der Sicht der Künstlerinnen« zusammengefasst – diese verschwindend kleine und inhaltlich haarsträubend simplifizierende Repräsentation weiblicher Künstlerinnen wird zu allem Überfluss auch noch als ein »Schwerpunkt der Ausstellung« verkauft. Die Kategorie »Frauen« bildet mit regionalen Gruppierungen (»Picasso und die deutsche Kunst« und »Der globale Picasso«; also alle nicht-westlichen Künstler), einem Zeitgenossen-Team (»Im direkten Kontakt mit Picasso«), einer etwas beliebigen Auswahl an »Approriaton Art«-Vertretern und der Interessensgemeinschaft »Guernica und die Antikriegskunst« die grobmotorische Gliederung der Ausstellung. Noch vorhersehbarer wäre nur eine Sortierung in Bildermaße und Meterpreise gewesen.

 

            Einen (unfreiwilligen) Schlüssel zur Ausstellung findet man außerhalb derselben. Im Entree der Halle, rechts aus dem Blick der Besucher gerückt, außerhalb des kostenpflichtigen Ausstellungsraums, hängt ein überdimensionaler HD-Flatscreen an der Wand. Der Bildschirm zeigt das Video »Picasso Baby: An Art Performance Film« von Jay Z. Der US amerikanische Rapper hatte am 10. Juli 2013 in einer sechsstündigen Performance in der Pace Gallery, Chelsea, seinen kurz zuvor veröffentlichten Track »Picasso Baby« präsentiert.  Zur Teilnahme wurde eine sorgfältig kuratierte Zeugenschaft aus Vertreterinnen und Vertretern des Kunstbetriebs, der Popkultur und der Musik- und Filmindustrie geladen. Das Setting der Performance, ein minimalistisches Raumkonzept im White Cube der Galerie – eine Holzbank, ein kleines Podest, ein den Aktionsraum abgrenzendes Seil – zitiert überdeutlich die inzwischen zur Marke gewordenen Langzeitperformances Marina Abramovics und erinnert zugleich an übliches Museuminventar. Vor diesem Bühnenbild rappte Jay Z über mehrere Stunden hinweg »Picasso Baby«, das von der Unersättlichkeit eines Kunstsammlers erzählt und das Sammeln als einen profanen Kaufrausch beschreibt. Das geladene Publikum wurde zur Interaktion aufgefordert: Schöne, junge, berühmte und glückliche Menschen tanzten und jubelten, sangen und performten mit Jay Z, sie hielten ihre Smartphones hoch und posierten vor dem PACE-Schriftzug, sie fluteten Instagram und Twitter mit Selfies und aufgeregten Einzeilern.

 

            Stand man nun zur Eröffnung im Foyer der Deichtorhallen, schien sich das High-Definition-Bild auf fast unheimliche Weise zu doppeln. Eine nicht enden wollende Liste von Namen, hier auf die Frontseite der Ausstellungswand kaschiert, dort im minutenlangen Abspann des Videos, Kuratoren in schicken Anzügen, gezückte Smartphones, knallweiße Wände und Scheinwerferlicht. Pablo Picasso als Schlagwort, pointierte Referenzfigur, Synonym und Abstraktum für westliche moderne Kunst. Hier und dort ist das verkaufsfördernde Partymotto PICASSO eine Bühne für eine ritualisierte Aufführung der Hochkultur. Jay Zs protzige Angeberei und Eigennobilitierung ist dabei ein Aufbegehren gegen die hermetische Geschlossenheit des Kunstbetriebs, seine dreiste Kopie ein Angriff auf Exklusivität, Elite und auratische Einzigartigkeit von Werk, Autor und Institution.  Unbehaglich stimmt, dass die Deichtorhallen derart selbstgefällig und gänzlich ungestraft die Picasso-Spektakel-Maschine noch einmal anwerfen und scheinbar ungewollt, zumindest widerstandslos ihrer Persiflage entsprechen.

            Die Installation des Videos außerhalb der eigentlichen Ausstellung zeugt von einem letzten Versuch, die Deutungshoheit für sich zu beanspruchen. Während nämlich das Picasso-Maskottchen des etablierten Künstlers Maurizio Catellan (»Untitled (Picasso)«) innerhalb der Ausstellung die Disneyfizierung des Kunstbetriebs paraphrasieren darf, wird jener Spiegel, der Jay Z dem Kunstbetrieb vorhält, von der Ausstellung weggedreht und der Unterhaltungskünstler damit auf seinen Platz verwiesen. Irgendwo muss man ja seine Grenzen ziehen, spätestens kurz vor dem  Ausstellungsraum.

 

Nina Lucia Groß

 

Jay Z - Picasso Baby: http://vimeo.com/71180742

 


1          Dirk Luckow, Vorwort, in: Dirk Luckow (Hg.), Picasso in der Kunst der Gegenwart (Kat. Ausst. Deichtorhallen Hamburg 2015), Köln 2015, S. 7

2          Ebd. S. 7–8

3          Ebd. S. 8

4          Worauf auch gänzlich verzichtet wurde: eine kritische oder zumindest nicht vollkommen affirmative Auseinandersetzung mit Picassos eigenem, euphorischen Primitivismus.