6. Januar 2004

Sumisu

The Smiths" bilden den Soundtrack zu Joseph Greens Jugend. Der Autor Marc Spitz liefert dazu ein Drama in drei Akten.

 

 

“... und immer wenn wir traurig waren, traurig waren wir ziemlich oft, gingen wir zu dir nach Hause und da hörten wir die Smiths.”

Farin Urlaub „Sumisu“.

 

 

Joseph wächst als Kind eines Broken-home-Elternhauses in einem Vorort New Yorks mit vornehmlich jüdischer Bevölkerung auf. Während einer ausgedehnten Sommerferien-Verschickung in den Mittleren Westen zu seinem Vater, einem in den siebziger Jahren hängen gebliebenem Haiopei, gerät er durch eine Mischung aus Zufall und magischer Anziehung in einen Tonträgerladen. Dort erfolgt durch die verlebte Plattendealerin nicht nur die erste zaghafte Annäherung an die Sexualität, sondern auch eine Einführung in die Subkultur. Es kommt zum ersten Vinylkontakt mit Iggy Pop und den „Dead Kennedys“ und zwangsläufig und folgerichtig werden mit der neu erworbenen Kraft die Markensymbole aus den Polohemden geschnitten. Ralph Lauren wird, wie hier zu Lande seinerzeit Hugo Boss, in die Verbannung geschickt. Zurück zu Hause wird dieser Trend fortgeführt.

 

Die „Smiths“ werden zur spirituellen Heimatmusik und begleiten die erste unglückliche, große Liebe. Als der ersehnte Live-Auftritt der Band platzt, kulminiert die gesamte Unglückseeligkeit des Heranwachsenden. Liebe schlägt in Hass um, und von nun an wird mit wenig Herzblut zur Musik von „Guns `n` Roses“ gekifft. Es folgt der Verfall. Joseph nimmt das Studium an einem Art College auf. Aus Hasch wird Heroin. Auf die Lethargie der College-Zeit folgt die Karriere und die zweite unglückliche Liebe. Joseph Green wird aus dem Drogensumpf via Internetportal in das Leben eines Musikredakteurs errettet. Glücklicherweise kreiert Spitz daraus keine weitere unsägliche Drogenlektüre á la Christiane F.

 

In Spitzs, oder zumindest in dem großen nicht gesellschaftlich gesettelten Teil seiner Generation, beginnt die Midlifecrisis bereits im zarten Alter von dreißig. Just zu dieser Lebensjahrzehntswende begegnet Green einer Gesinnungsgenossin hinsichtlich des allzu nachvollziehbaren Wunschs ewiger Jugendend: “I don’t wanna be thirty.”, “I don’t either. I wanna be sixteen.”, “I wanna be fifteen.” Doch den Naturgesetzen unterworfen werden beide niemals wieder fünfzehn oder sechzehn sein. Es bleibt gleichsam als Hoffnung nur eben die Frage: Wann ist niemals?

 

Als Miki bei ihrer ersten Verabredung gleich das komplette Album „The Queen is dead“ in der Jukebox zusammenstellt, löst sich Josephs selbst auferlegte „Smiths“-Abstinenz. Die verhängnisvolle gemeinsame Idee einer Reunion der „Smiths“ wird geboren, und es sei hier noch nicht verraten, ob beide schließlich aufgeben oder durch Katharsis endlich erwachsen werden.

 

Eigentlich erwartet man spätestens an diesem Punkt eine Geschichte, die man - sofern Jugendkultur und Musik auch nur irgendeine Bedeutung für den Leser hat - auf gar keinen Fall lesen will. Und doch schafft es der Autor, den Leser auf seine Seite zu ziehen, und das ist unsere Seite, die Seite derer, die mit Punk-Rock als Hausmusik aufgewachsen sind.

 

Die Bildung und Angliederung an eine Subkultur und die damit einhergehenden Landmarken der eigenen Geschichte lassen Erinnerungen wach werden. Der alte Kunstunterrichtsraum der Highschool wird zur Auffangstelle der jugendlichen Außenseiter. Während der ersten akustischen Begegnung mit den „Smiths“, deren Ruhm der Besonderheit ihnen bereits vorausgeeilt ist, herrscht Faszination und Erstauntheit über die wenig herkömmlichen Songstrukturen, insbesondere die Abwesenheit offenkundiger Refrainmerkmale. Eine zu schöne Wahrheit über die „Smiths“, waren sie doch selbst der Chorus einer Jugendkultur, so wie der gesamten folgenden Britpopkultur, als deren Gründungsväter sie mit „Joy Division“ / „New Order“ mit Fug und Recht angesehen werden können.

 

Spitz erzählt die Geschichte seiner Generation, wie sie wohl auch den Generationen vor ihm passiert ist und den Generationen nach ihm passieren wird. Aber dies ist eben die Geschichte der Generation der „Smiths“, und obwohl es immer eine gewisse Gefahr birgt, über die jüngste Vergangenheit oder gar noch lebende Personen zu schreiben, gelingt Spitz ein ganz wundervoller Roman, weil er eben über bloßes Fantum hinausgeht. Er lässt uns in einer tragischen und ironisch-lustigen Melange an der Rückschau eines Lebens und Seelenlebens, das erstmalig so etwas wie einen, wenn auch nur vermutlich vorübergehenden, Ruhepunkt erreicht hat, teilhaben.

 

„How soon is never“ beantwortet Justus Köhnckes sanfte Frage „Was ist Musik“. Und wir leben in einer merkwürdigen Zeit, in der wir in einem Alter, in dem unsere Eltern schon unsere Eltern waren, noch weiterhin glauben ein essenzieller Bestandteil der Jugendkultur zu sein. Die Erinnerung ist eben das Paradies. „How soon is now?“

 

Joseph Green ist das Alter Ego von Marc Spitz in seinem Buch „How soon is never“. Beide teilen nicht nur das Schicksal der Namensgleichheit mit einem berühmten Sportler (siehe auch Homepage von Mark Spitz), sondern auch die gleiche berufliche Tätigkeit. Marc Spitz arbeitet wie sein Antiheld als Musikjournalist in New York.

 

Marc Spitz, „How soon is never“, Three Rivers Press, New York 2003