10. April 2014

TINK CLINK, SPINK, SLURP, GULP

 

Hamburgs neue Kunstvereins-Direktorin Bettina Steinbrügge eröffnet mit Geoffrey Farmers ersten deutschen Einzelausstellung „Let’s make the water turn black”

 

Eine Sonnenuhr zeigt den Stand der Sonne am Himmel an. Eine nicht sichtbare Zeit wird also durch Bewegung sichtbar gemacht. Was nun passiert aber, wenn uns die Sonne in schwarzer Nacht verlässt und der kanadische Künstler Geoffrey Farmer ins Spiel kommt? Jeder ahnt, fühlt sie, diese Zeit, Farmer möchte sie vor allem auch hören.

Farmer spricht von Geräuschen, die erst hörbar werden, wenn das festgelegte System des messbaren, wandernden Sonnenlichts verschwindet und Licht und Schatten keinem voraussagbaren Regelverhalten unterworfen sind. Das Sonnenlicht wird durch buntes mächtiges Kunstlicht aus Glühbirnen ersetzt. In seinem einzigen Kommentar besingt Farmer mit dieser Sonnenuhrmotivik genau diesen Zustand. Das Zeitgefühlt verliert sich in dunklen Momenten – das ist gut so – und wird als Bildgeräusch hör- und sehbar. “Time in relation to sound is not unlike a sundial, whose shadow hand travels imperceptibly throughout its journey.”

Farmers kinetische Großraum-Installation wirkt wie ein skuriller, spaciger Geisterspielplatz und erinnert am ehesten an eine Performance ohne menschliche Darsteller. Ersetzt wurden diese durch Skulpturen, die mal energischer, mal weniger energisch Bewegungen in der abgedunkelten Halle des Hamburger Kunstvereins von sich geben und minimalistische John-Cage-Klänge erzeugen. Eine Pfauenfederskulptur stöhnt dann auf einmal lustvoll und schlägt mit ihrem Rüssel auf ein Kissen ein, nebenan türmen sich Riesenmuscheln mit Glühbirnen und ein Dinosaurierhals liegt zerschunden auf dem Boden. Ein Giraffengehstock schwingt wie ein Metronom hin und her, betagte Robinson-Skulpturen mit langen, zotteligen Haaren lungern herum, sind still, dann wieder laut. Aus Lautsprechern, Computerboxen, Grammophon-Trichtern oder Kassettenrecordern kommt der Sound. Stimmen aus Interview-Material erzählen im breiten Ami-Slang über Hollywood: „The city of gold, the city of style, the city of everything.” Bereits gesagte Wortfetzen werden wiederholt und/oder neu erzählt, indem sie aus einer anderen Skulptur erklingen. Dann knistert es, eine Plastiktüte wird aufgerissen und jemand lässt Wasser. Elektronik und Perkussion lärmen. Meeresrauschen erklingt, Geschirr klirrt, ein Wecker klingelt, Vogelgezwitscher, Blitzgeräusche und immer auch die metrischen Verschiebungen und Klangblöcke, für die man so schnell keinen Namen findet. Das Licht scheint mal in einheitlicher Farbe weiß, rot oder gelb, dann gar nicht und geht dann weiter in Knallbunt. Geräusche und Bewegungen äußern sich immer in abgesteckten Orten, wechseln und entwickeln verschiedene Stimmungen. Motown-Musik aus einem Radio wirkt frei und locker, während düstere Maschinengewehrschüsse unter blinkendem, buntem Licht Bedrohung signalisieren. Immer jedoch schafft es nur der Sound, eine Stimmung zu konnotieren, Objekte und Licht bieten Projektionsflächen und folgen der Stimmung.

Geoffrey Farmers collagenhafte Komposition ist angelehnt an Frank Zappas Œuvre sowie an die vom ihm praktizierte musikalische Technik der Xenochrony. Jede Stunde der Partitur soll einem Jahrzehnt in Zappas Leben entsprechen. Der Furz aus einer Dose, das ist dann die Geburt Zappas. So steht es im Programmflyer. Neben weiteren Arbeitstechnik-Anleihen von Kathy Acker und William S. Burroughs lässt Farmer ansonsten wenig Struktur erkennen, denn computergenerierte Algorithmen steuern willkürlich Licht, Klang und Bewegung. Immer wieder neu und immer wieder anders werden so vorher sorgfältig erstellte Enzyklopädien kaleidoskopisch zusammengewürfelt. „Work in progress”. Wie erzählt wird (falls erzählt wird), ist egal, Hauptsache anachronistisch, überlappend und anarchisch.

Frank Zappa war vor allem eins: workaholic. Er war auch Rockmusiker, vielfältiger Komponist, Producer, Regisseur ... (eine kleine Auswahl). Sein Talent bestand darin, mit seinen Kenntnissen in Musiktheorie und einer unermüdbaren sozialkritischen und politischen Willenskraft, Nischen für sich zu finden und diese zu besetzen. Zudem galt Zappa als gewisser Eigenbrödler und ist mit seinen Ansichten zum American Way of Life zumindest für FDP-Wähler noch heute eine der umstrittensten Figuren in der Rockgeschichte. 

So wie die zur Queen of Punk stilisierte Acker es eins tat, jonglieren auch Farmers Computer meisterhaft mit reißerischen Diskursen aus diversen Kulturen. Sex, Religion, Musik, Politik, Geschichte, Literatur oder Soziologie. Alles wurde, schon in Ackers postmodernen Textcollagen, kopiert und dann weiterverwertet, nie wurde etwas neu erdacht. Statt eine Realität zu beschreiben, wird nachgeahmt. Dennoch hat das Ergebnis Potenzial, Sachen zu verdeutlichen, die so noch nicht verdeutlicht wurden. So kritisiert die durch Burroughs salonfähig gemachte dadaistische Cut-up-Technik die Diktatur der Sprache und fragt, wie sich der Sprache bedienende Medien vor allem mithilfe technischer Medien darstellen lassen.

Farmers Soundpartitur steht obendrein, wer hätte es anders erwartet, ganz in der Tradition der Fluxusbewegung. Leben und Kunst verhalten sich nicht disparat, sondern bilden eine Einheit. Das Leben ist Kunst und Kunst ist Leben. So weiß der Besucher auch nicht, ob das Zugrattern denn nun vom anliegendem Hauptbahnhof schallt oder aus einem der vielen Lautsprecher.

Anders als bei Burroughs wird die Sound-Bild-Collage nicht als potenzielle revolutionäre Waffe in konkreten Einsatzgebieten gedacht. Gescrambelte, eingespielte Geräuscheffekte von Krawallen sollten für Burroughs bei einer friedvollen Demonstration tatsächliche Krawalle auslösen können. Farmers Installation dagegen kennt keine solche reale Funktionalisierung, sie ist weltfremder, noch willkürlicher, stellt einzig die Nachahmung dar und ist gerade deswegen weitergedacht. Computer und Skulpturen ersetzen Menschen. Nur so wirkt die Technik in Zeiten von digitalen Plagiatsdebatten noch nicht verbraucht. Farmer entwirft eine antiautoritäre Perspektive auf die Zeit, will seine Hommage an Zappa nicht bloß als eine chronologische Rock’ n’ Roll-Biografie stehen lassen und schafft es den subversiven Gehalt seiner Cut-up-Technik zu erweitern.

Hör- und Sehgewohnheiten verunsichern zu wollen jedoch, ist heutzutage nichts Neues. Schon bei Acker zeigte sich, wie rasch sich die zunächst verstörende Technik abnutzte und dann schnell langweilig wurde. Die ständige Provokation soll dann also richten, was eine Reflexion nicht leisten kann. Betrachten wir in diesem Zusammenhang erneut Farmers Computer, leben diese solch gesampeltes Provokationspotenzial. In einer rotlichtigen blasphemischen Sequenz werden da etwa Sexgeräusche mit einem Bild Jesus Christi zusammengeklaubt, verwirrte Teenies fragen während weiterem Gestöhne nach Mummy und Daddy, während die gewohnten freakigen Beats und Breaks ertönen. Und dennoch, Farmer nimmt einen Anteil menschlicher Provokation zurück, worin auch eine weitere subversive Kraft liegt.

Farmer bietet eine auf sehr trendy und cool gebürstete Ästhetik. Allein sie ist ansatzweise festgelegt. Sie inszeniert sich theatralisch, muss dies aber auch tun, da nur Eigenschaften wie Größe und Exzentrik Farmers breites kaleidoskopisches Spektrum abbilden können. Am Ende bleibt die Frage, was ohne Dunkelheit geschehen könnte? Maybe, without darkness, we wouldn’t have sleep. Und doch: Dass die Sonne wieder aufgehen wird, ist höchstwahrscheinlich.

Wenke Bruchmüller

 

Geoffrey Farmer: Let's make the water turn black

Kunstverein Hamburg, 1. März bis 11. Mai 2014