19. März 2014

Wir sind's nur, deine Kinder!

 

Kaka-Kommando, Schulbrote schmieren, Kinderbringdienste. Alexander Poschs neuer Roman „Sie nennen es Nichtstun“ blickt in die alltägliche Fließbandarbeit eines Systemzombies. Poschs Held ist Familienvater, hat eine Frau gefunden und lebt im Speckgürtel Hamburgs mit drei Kindern in Rahlstedt. Der moderne Klassiker.

Was Frau und Mann trennt, sind Risikounterschiede, die man bereit ist einzugehen. Mit Kloputzen hatte es irgendwie nichts zu tun, damals, als er seine Frau, die Ornithologin in Afrika kennenlernte. Damals, Vergangenheit. Gegenwärtig, beim Kloputzen, versucht er sich das Wort Liebe vorzubuchstabieren, bis es ihm geschmeidig über die Lippen geht. Früher war er Punk und verkehrte bürgerliche Versatzstücke, schmiss Windelpartys mit seinen Saufkumpanen, dazu floss das Dosenbier. No future, no future. Gegenwärtig tadelt seine flachbäuchige Frau seinen Bierbauch, die es neben Job noch in die Muckibude schafft und schimpft, wenn sie abends nach Hause kommt und ihr Schriftstellergatte „Mann“ wieder biertrinkend vor einem leeren Blatt Papier sitzt. Sie nennt es Nichtstun. Die Rollenaufteilung im Haushalt ist klar verteilt. Papi kümmert sich um das Hausmannsdasein, bastelt Kastanientiere und beseitigt alles Eklige.

Poschs Held ist gefangen in der Zeit. Alles verreckt, nichts bleibt so, wie es ist. Das Herbstlaub verschwindet, die alte Frau Hansen stirbt, der Wissensdurst von Sohnemann und Töchtern wachsen. Die Älteste weiß es bereits besser und wird nicht auf die Lebenslüge Künstler hineinfallen. Aber auch die Liebe verschwindet und Erinnerungen löschen sich aus. Die Beständigkeit von romantischen Gefühlen? Es gibt sie nicht. Die Uhr tickt und tickt und tickt und immer muss „Mann“ funktionieren. Poschs Held verliert sich in alltäglichen Verrichtungen und entkommt ihnen gleichzeitig durch fantastische Einschübe oder analeptische Erinnerungen an alte Bekanntschaften. Beim über 50 in der 30er-Zone fahren erwischt ihn sein ehemaliger Klassenkamerad, der jetzt Bulle ist. Beim Biersaufen mit Kumpel Henni denkt er an den Seemann mit dem Minnie-Mouse-Tattoo. Ob der Rocker vom Kino noch lebt? Schon wieder Vergangenheit.

Posch thematisiert das Ringen um Identität, dass Kreativität und Glück voraussetzt und im Alltagsgefecht schnell verloren gehen kann. Erzählt wird anekdotisch über die Nichtvereinbarkeit von innerem existenziellen Antrieb und moralischen Gesellschaftszwängen. Was vom Punk noch übrig geblieben ist, geschieht im Heimlichen. Subversion und Aggression entlädt sich immer zu spät und in Abwesenheit der Unterdrücker. Der Rasenmähersound des Nachbarn Sanddorns übertönt Papis Pöbeleien, ein Fluchtversuch aus dem Kinderterror endet, sobald der Gedanke kommt, nicht doch noch einen Liter Milch für den Kakao zu besorgen. „Mann“ will nicht immer nur funktionieren, muss aber immer. Geträumt wird davon, sich einfach mal ins Meer zu stürzen oder es wie Freund Henni mit Wein, Weib und Gesang zu versuchen, der ständig Frauen trifft, obwohl er verheiratet ist.

In einer Art Bernhard’scher Erregungsrhetorik parodiert Posch das postmoderne Familienglück. Abenteuer und Zivilisation sind für Papi Lichtjahre entfernt. Parataktisch wird mit schwärzestem Humor, manchmal etwas zu eintönig, über die entromantisierende Wirkung des Hausmannsdaseins geklagt. Poschs Roman unterhält und nimmt die Angst, schlimmer dran zu sein. In seinen besten Teilen lebt er von einer realistischen Darstellung, die auf jegliche poetisierende Virtuosität verzichtet. Der Rotwein hat einen Drehverschluss, das ist unelegant, aber praktisch. Hier wird keine elitäre Hochkultur umkreist,  Inhalt und Stil korrespondieren somit erst recht. Und dennoch scheint Papi ein Vorstadtintellektueller zu sein. Er spricht aus einem ungebrochenen Glauben an alte griechische Mythen, reißt intertextuelle Bezüge auf und wenn er wie so oft dem Wahnsinn des Lebens entflieht und seine Fantasie mit ihm durchbrennt, dann denkt er sich eine Geschichte aus, die auch John Cheevers Kurzgeschichte „The Swimmer“ über das Poolhopping in Kalifornien sein könnte, nur dass es in der Realität in Rahlstedt keine Pools gibt. Alles, was Zuversicht auf Besserung geben könnte, entpuppt sich als nicht erfüllbar. Professionelle Hunderennen à la Bukowski sind nur in Amerika und England gestattet, nicht in Rahlstedt. Immerhin gibt es Rennwürste. Die Odyssee geht also weiter. WEITERMACHEN steht auch auf Papis Schlaf-T-Shirt. Pflaster drauf und fertig. 

Wenke Bruchmüller

 

Alexander Posch: Sie nennen es Nichtstun. 2014.

(LangenMüller Verlag, 192 Seiten, 17,99 €)

 

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