22. Dezember 2013

„En face le pire jusqu’à ce qu’il fasse rire“

 

Monika Rincks Witz-Theorie-Fibel Hasenhass

 

Zu den Eigenarten der Bücher Monika Rincks zählt es, dass der Leser das Gefühl hat, nach ihrer Lektüre schlauer zu sein als vorher, mag er auch nicht aus allem klug werden. Rincks jüngste Veröffentlichung (nach dem feinen, mit dem Peter Huchel-Preis ausgezeichneten Band Honigprotokolle) bildet hierin keine Ausnahme.

Hasenhass. Eine Fibel in 47 Bildern heißt das schöne, intelligente und albern-poetische Buch, das der Peter Engstler Verlag nun in bibliophiler Ausstattung herausgebracht hat.

Hätte Engstler nicht auch Helmut Höges „Kleinen Brehm“ im Programm – man könnte, dem Titel nach, und in Anbetracht der erst vor wenigen Monaten erschienenen Gedichtsammlung wider die wiesel von Ulf Stolterfoht, beinahe eine zoophobe Tendenz des Verlags vermuten, was natürlich absurd ist. Wenn Rinck Honig mit Hohn und Hasen mit Hass verbindet, so hat dies eine rein poetische Bewandtnis und eine eigene zwingende Logik.

 

Aufmerken lässt vorab die Gattungszuordnung „Fibel“, die mit Bedacht gewählt ist. Der etwas aus der Mode gekommene Begriff bezeichnet ein bebildertes Lesebuch für Erstklässler und ein Lehrbuch, das in die Grundlagen eines bestimmten Fachgebiets einführt. In Hasenhass verknüpft Rinck schelmisch beide Aspekte und kombiniert auf abenteuerliche Weise knallharte Theoreme mit erschütternd Albernem, Simplem, ja Kindischem.

Sie lässt den Leser an Lesefrüchten teilhaben, zitiert Dichterkollegen: Ghérasim Luca, Christa Reinig, Jean Paul, Eichendorff, Ovid, misst dem iPhone „Ich-Energie“ zu, die sie in einem neuen Modell durch „Furcht“ ersetzt, sie beobachtet „Idioten an luftverschalteten Kontakten“ und kennt die „Reine Leere“, die sich schnell als „La Reine Leere“ entpuppt, als Königin Leere, unterwegs zur „Wüstenbude“, wo sie „etwas Sprudel oder Dudler“ kauft, um ihre Kamele zu tränken.

 

Ein guter Witz – so sollte das Büchelchen zunächst heißen; „Witz“ wiederum, gemäß dem Doppelsinn von „Fibel“, in seiner alten Bedeutung von Wissen, Verstand, Klugheit und Weisheit und in der heute gebräuchlichen einer pointierten lustigen Erzählung.

Reichlich Absurdes, gezeichnete („Hegels Frisur, nach dem Schlesinger-Portrait aus dem Jahr 1825“) und erzählte Witze („[...] Herr Ober, einen Kaffee ohne Milch, bitte. – O, wir haben keine Milch. Kann es auch ohne Sahne sein?“), der Witz als philosophisches und psychologisches Problem – dies alles findet sich hier, nicht mit bombastischer Schwere, sondern so von schräg oben angeflogen: ein Divertissement.

 

Anspielungen auf und Zitate von, eben, Hegel, Sigmund Freud, Roger Caillois und Immanuel Kant zeigen schon an, dass Hasenhass zwar ein Spaß, jedoch nicht so easy-peasy ist, wie es zunächst den Anschein hat. So notiert Rinck (oder ist es das lyrische Ich?) in einer Anmerkung zu Freuds Essay „Die endliche und die unendliche Analyse“ (1937): „Ich möchte auf das „und“ aufmerksam machen […]. Das Endliche findet Raum im Unendlichen, und das Unendliche, solange das Endliche noch kein Ende hat, eigenartigerweise im Endlichen.“

Eine weitere Paradoxie, die sich aus Rincks Freud-Lektüre ergibt, sei dem Leser überlassen selber zu entdecken.

Am Fuß der hier, nur um ein Beispiel zu geben, grob rekapitulierten Seite steht ein galliger Witz („Im Schützengraben: Jetzt hörn Sie doch auf zu schießen. Sehn Sie denn nicht, dass da drüben Menschen rennen?“), den man mit Freuds/Einsteins Briefwechsel „Warum Krieg?“ (1933) assoziieren mag, oder mit dem bevorstehenden Erster Weltkrieg-Gedenkjahr; ein Schlenker zum Tolstoischen Oxymoron Krieg und Frieden bereitet ihn vor. Nicht lustig, aber eine Illustration der Verrohung, die Krieg mit sich bringt.

 

An Hasenhass ist einmal mehr Rincks Freude an normal-verrückten, bei genauerer Betrachtung auch befremdlichen Wörtern und Fügungen abzulesen: „Vergnügungspark“, „Bubble Tea“, „Orchestergraben“, „Begrünungsabschnitt“, „Parallelbetrieb“, „Interessensmodule“, „Anrufung der Staatengemeinschaft“, „nach oben korrigieren“, „Falzkante“, „Mischhack“ usw.

Auch ein Faible für Comicsprache scheint vorhanden: „schwuppdiwupp“, „zack bumm“, „kawatz“, „hihi“.

Dazu gibt es irritierende Formulierungen wie „taumelnde Äquivalenz“ oder „glänzende Abträglichkeit“, die typisch für diese Dichterin sind, die auch für einen rheinischen Diminutiv wie „Ideechen“ Sinn hat und zur guten Laune schon mal ein „Yes!!!!!“, „Kross!“ oder cool-ironisches „o yeah“ einbaut – eine wilde Mischung.

All diese sprachlichen Elemente sind lyrisches Material, aber nicht alle Texte in Hasenhass erheben den Anspruch, Gedicht zu sein.

Sind sie’s denn? – Teils, teils.

 

Ein Prosagedicht, das eine Hasenzeichnung begleitet (die skurrilen S/W-Illustrationen stammen alle von der Autorin), eröffnet das Heft.

„Wieder und wieder flammte es auf, hier und da, war mit einem Mal schier überall, legte sich nieder, verstummte, wurde dunkel. […]“

Dieser erste Satz ist bestimmt von einem rhythmisierten Wechsel langer und kurzer Vokale und, damit verbunden, einer klanglichen Wellenbewegung, mit Schaumkronen („wieder“, „hier“, „schier“, „nieder“ usw.) und Wellentälern, vielleicht auch einem Auslaufen und Verebben („verstummte, wurde dunkel“).

Ein zweiter Satz: „Im hohen Bogen knallen die Blasen auf rot[.]“ weist eine vergleichbare, aber kompakte, Vokalgestalt und Musikalität auf.

Sprachklang und -rhythmus, Lautfarbe und -schattierungen – es ist alles in diesem Entree enthalten, das, trotz aller Benennungen und Einzelheiten, abstrakt bleibt, aber solchermaßen konkret vorführt – auf nicht-semantische, materielle Weise konkret –, aus welchem Stoff Dichtung gemacht ist.

 

Das zweite Stück des Bands ist eine Reflexion über den Witz („der tröstende und fürchterliche Gedanke, dass Menschen generell über alles lachen können, alles, noch über das Schlimmste“), mehr noch: eine „Enzyklopädie des Witzes“ (Stephan Kammer). Rinck lässt aber den Werkzeugkasten des Verstandes zugeklappt und folgt lieber der schaukelnden Linie der Poesie, in einer großen wunderbaren, über eine ganze Seite hinweg wandernden Bewegung, wie mit einem Schleppnetz gelassen durch die Sprache fahrend, um alles, was sich in ihr tummelt, einzufangen und zu bergen, kindlich und ernst. „Da ist eine Schärfe und eine Würze“, ein schummriger, phosphoreszierender, blitzender Rausch.

Rinck ist eine Dichterin, die die Sprache dafür hat, einen Ton, der besonders ist. Und manchmal setzt sie einen Zauberhut auf, und der Leser bleibt wie verhext.

 

Hasenhass, dies kurzweilige und knifflige Büchlein, zitiert aus gutem Grund das klassisch-romantische Programm der „Zusammenführung von Poesie und Wissenschaft“. Einem originellen, allem Langweiligen abgeneigten Kopf wie Rinck kommt es gerade recht. In der freien, Philosophen und Dichtern gemeinsamen Form des Brouillons findet sie einen ihr gemäßen Weg, akademisch zu sein ohne Akademismus. Die Hasenhass-Fibel zeugt von Spiellust, Neugierde und kibbiger Intellektualität. In ihr ist nicht zuletzt ein Prinzip wirksam, das seit jeher dazu beigetragen hat, die Dichtung beweglich und frisch zu erhalten: die Überraschung.

 

Meinolf Reul

 

 

Monika Rinck, Hasenhass. Eine Fibel in 47 Bildern. 40 Seiten, geheftet, mit Illustrationen von Monika Rinck. Peter Engstler Verlag, Ostheim 2013. 12,00 Euro 

 

 

amazon