30. November 2013

Zu zweit allein und allein gegen alle

 

Die revolutionäre Gruppe Contre-Attaque, am 7. Oktober 1935 gegründet, bestand vor allem aus dem Philosophen Georges Bataille und dem Dichter und Surrealisten André Breton. Zu zweit entwickelten und vertraten sie ein Revolutionsdenken, das sich gegen die dritte französische Republik, den Faschismus, den Kapitalismus und den französischen Kommunismus richtete. Der kurzen gemeinsamen Geschichte der intellektuellen Antihelden Bataille und Breton widmet Patrick Kilian seine Arbeit.

Wann immer Denken zeitgeschichtlich kontrovers erscheint, besteht die Gefahr nachträglicher übermäßiger Begeisterung für ihre Vertreter. Dieses Potenzial erhöht sich, wenn die Kenntnis über Vertreter avantgardistischer Strömungen zu einem vermutlichen Geheimwissen erhöht wird. Fotografien individualistischer Heerscharen rauchender und schwarz gekleideter Existenzialismusvertreter belegen dies. Dass sich an dieser Stelle also ein Geschichtswissenschaftler dem Selbstverständnis Bretons und Batailles annimmt, bekommt der Rhetorik und Struktur des Buches sehr gut.

Der Autor entwirrt zunächst einmal die theoretischen Quellen aus der Wildheitsrhetorik der Contre-Attaque. Kilian widmet einen Teil seiner Analyse ausführlich den Einflüssen der Gruppe. Darin zeigt er zum einen die kaum zu unterschätzende Wichtigkeit des Hegel-Seminars von Alexandre Kojève in den Jahren 1933 bis 1939. In dieser Zeit führte Kojève das Wissen um die Philosophie Hegels in die französische Philosophie des 20. Jahrhunderts ein und versammelte neben Bataille und Breton auch Lacan, Sartre, Hyppolite und Klossowski in einem Raum. Zum anderen werden die diskursiven Konfigurationen anschaulich analysiert, sodass die Verknüpfung von Hegel und Nietzsche oder Marx und Freud zwar weiterhin als wilde Disziplinkombinationen erscheinen, deren Entstehung sich aber erklären und als assoziatives Denkmodell nachvollziehen lassen. Mittels dieses Konzepts, das auf Lévi-Strauss’ Werk La penseé sauvage zurückgeht, lassen sich die Theorien Batailles und Bretons beleuchten und erscheinen in der Analyse Kilians als Knotenpunkt „von gleichermaßen philosophischen, politischen, anthropologischen, psychologischen wie biologischen Begründungsmustern“. Diese Aufschlüsselung der Theorien und Analogien bildet den interessantesten Teil des Buches.

Die kurze Dauer der Contre-Attaque wird unter der Überschrift „Genealogie des Scheiterns“ beleuchtet. Denn vom Manifest und dem Aufbruch der Gruppe, mit ca. 70 Mitgliedern zur Hochzeit ihres Bestehens, bis zur Auflösung, welche mit dem Austritt Batailles im April 1936 eingeleitet wurde, vergingen etwa 12 Monate. Im Streit um den Neologismus surfascisme treten die beiden Lager um Breton und Bataille gegeneinander an und in der Auslegung des Präfixes „sur-“ zeigt sich der tiefe Graben zwischen beiden Denkern.

Strebten die Surrealisten in ihrem Programm stets die Überhöhung der Realität an, so konnten sie die Vorstellung eines Hyperfaschismus nicht mittragen. Batailles Lager verstand die Vorsilbe im Sinne Nietzsches Über-Menschen jedoch entgegengesetzt und strebte die Überwindung an. Bataille wollte zu jener Zeit den Faschismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Dieser vermeintliche Flirt mit der Anziehungskraft und der massenpsychologischen Wirkung des Faschismus treibt die Gruppe auseinander.

Das Nachleben der Gruppe gestaltet Bataille im Alleingang mit seinen Cahiers de Contre-Attaque. Seine revolutionäre Agitationskraft scheint hier ein letztes Mal durch die Seiten der Hefte. Kurz darauf wendet sich Bataille wieder der theoretischen Arbeit zu. Denn „[um] Kommunist zu sein, müsste ich Hoffnung in die Welt setzen […]“.

Dieser, auch vom Autor so bezeichnete, Sturm im Wasserglas nahm die Unfähigkeit der Postmoderne, selbst Geschichte zu schreiben, vorweg. Gleichzeitig bleiben viele Ansätze im organischen, rhizomartigen Denken Batailles und Bretons eindrücklich und faszinierend. Dafür, dass daraus keine blinde Gefolgschaft entstand, sorgte die Contre-Attaque am Ende selbst. Für die gute Lesbarkeit dieser Entwicklung sorgt im Nachhinein diese Masterarbeit des Historikers Patrick Kilian.

Björn Hartwig

 

Patrick Kilian: Georges Bataille, André Breton und die Gruppe Contre-Attaque

Über das „wilde Denken“ revolutionärer Intellektueller in der Zwischenkriegszeit, Röhrig Universitätsverlag 2013

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