7. April 2013

Siegertext von Franziska Solte & Isabelle Busch

 

Wir freuen uns sehr, heute Abend im Kunstverein Harburger Bahnhof die Ausstellung

 

„The navel of the world.

Courbet / de Maria / Johns im Mittenpunkt“

 

zu eröffnen.

 

Es war uns ein besonderes Anliegen, diese Ausstellung mit drei ganz unterschiedlichen, künstlerischen Positionen zu realisieren, die sich thematisch im Mittenpunkt schneiden.

Sie haben richtig gehört – nicht im Mittelpunkt, sondern im Mittenpunkt.

 

Denn der Mittenpunkt ist selbstverständlich nicht zu verwechseln mit dem Mittelpunkt. Bewiesen wurde die Existenz des Mittenpunkts 1836 von dem deutschen Mathematiker Christian Heinrich von Nagel. Es handelt sich dabei um einen besonderen Punkt eines Dreiecks, in dem sich die drei Seitenmittelgeraden des Dreiecks schneiden.

 

Und so wie sich die Seitenmittelgeraden in einem Punkt schneiden, so treffen sich auch – selbstverständlich auf konzeptueller Ebene – die unterschiedlichen künstlerischen Arbeiten im zentralen Punkt der Ausstellung. Dabei war es uns ein ganz besonderes Anliegen in diesem Fall historische und zeitgenössische, sowie ortsspezifische Positionen dialektisch miteinander in Bezug zu setzen.

 

Wir schätzen uns sehr glücklich, dass wir aus dem Musée d’Orsay in Paris das Gemälde, „L’origine du monde“ von Gustave Courbet aus dem Jahr 1866 leihen konnten und nun in Harburg während der Laufzeit präsentieren können. Sie alle kennen sicherlich das Bild, auf dem – man kann es nicht anders behaupten – ein nicht unerheblicher Mittenpunkt dargestellt ist. Ein Zeitgenosse schrieb über das Bild: „Der Künstler, der sein Modell naturalistisch kopierte, hat vergessen, die Füße, die Beine […] und den Kopf wiederzugeben.“ Der ‚weibliche Schoß’ also als Bildthema. Das Bildmotiv wurde zeitlebens kontrovers diskutiert und präsentiert. Das Bild lässt sich jedoch nicht nur pornographisch deuten. Im übertragenen Sinn stellt das Bild den „Ursprung“ allen Existierens, Wahrnehmens und Gestaltens der menschlichen Welt dar.

 

In der Ausstellung über den Mittenpunkt in Harburg wird dieses Gemälde auf ungewöhnliche Weise kontextualisert. Es bekommt sprichwörtlich seinen Kontrapunkt. Wir freuen uns sehr, dass wir Walter de Maria für die Ausstellung begeistern konnten und er bereit war eine seiner wichtigsten Arbeiten weiter zu entwickeln und in Harburg anlässlich von „The Navel of The World“ zu realisieren. 1977 versenkte er den Erdkilometer anlässlich der documenta 6 in Kassel. 2013 verlängerte er den Messingstab um 6378 km und versenkte ihn – nicht ohne technische Komplikationen – ausgehend vom Kunstverein Harburger Bahnhof bis zur Mitte der Erde. Die Kosten des Kunstwerks sind nicht unerheblich und führten mitunter zu Protestaktionen der Harburger Bürger. Nicht einzusehen war für sie, dass nun schon wieder in Harburg eine Säule im Zeichen der Kunst versenkt werden sollte. Wir freuen uns über diese kritischen Stimmen und möchten Ihnen gerne in einem offenen Dialog begegnen. Zu entgegnen haben wir den Bürgern jedoch, dass der Erdkilometer eine ganz besondere ideelle Kraft verkörpert, die die Bedeutung Harburgs hervorhebt und auf diese Weise zwei Geozentren von spezifischer Bedeutung miteinander verbindet.

 

Die zwei beschriebenen Kunstwerke und ihre Thematik des Mittenpunkts kulminieren inhaltlich und bildlich in einem dritten Kunstwerk von Jasper Johns:  Einer Zielscheibe aus dem Jahr 1958. Seine berühmten „Targets“ gehören zum ältesten Motiv des amerikanischen Künstlers, das er in zahlreichen Variationen aufgegriffen hat. Er löst den Hintergrund aus dem Gemälde heraus und isoliert den Gegenstand. Hintergrund wurde die Wand. Verfolgt man das Motiv der Zielscheibe in ihren unterschiedlichen Ausprägungen von Bild zu Bild, wird ihre unklare Zustandsform zwischen Abbild und Gegenstand umso mehr offenbar.

 

Wir freuen uns sehr, dass die Sammlung des Museum of Modern Art dem Kunstverein Harburger Bahnhof seine Arbeit „Target“ für die Ausstellung „The Navel of The World“ geliehen hat und dass sowohl der Künstler als auch das MoMA bereit sind, das Kunstwerk einem Re-enactment von Niki de Saint-Phalle zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise aktionistisch vollenden zu lassen. Sie alle kennen vermutlich die Schießbilder der französischen Künstlerin unter dem Titel „Tirs“? Das Re-enactment einer ihrer Schießaktionen wird heute anlässlich der Ausstellungseröffnung von Nora Sdun aufgeführt. Wir sind überzeugt, dass diese performative Synthese zum Thema des Mittenpunkts darüber hinaus den kunsthistorischen Diskurs um den Aspekt des Oszillierens zwischen Abbild und Gegenstand im Werk Jasper Johns in eine neues Licht rücken wird.

 

Wir möchten uns ganz herzlich bei der Kulturbehörde Hamburg, der Hamburgischen Kulturstiftung, sowie insbesondere der Stiftung Denkmalpflege Hamburg für ihre Großzügigkeit unserem Projekt gegenüber bedanken.

 

Wir danken außerdem Walter de Maria, Jasper Johns, Nora Sdun, dem Musée d´Orsay, dem Museum of Modern Art, Air Berlin und Dunkin Donuts, Messing Reinsdorf Hamburg, Hochtief und natürlich allen Aufbauhelfern und Praktikanten, ohne deren Hilfe die Realisierung dieses Projekts nicht möglich gewesen wäre.

 

 

Siegertext von Franziska Solte & Isabelle Busch

 

 

Wettstreit der Hamburger Eröffnungsredner

 

mit  

Nicole Büsing & Heiko Klass

Kunstjournalisten

Armin Chodzinski

Künstler

Prof. Barbara Kisseler

Kultursenatorin

Dirk Luckow

Intendant Deichtorhallen

Sibylle Peters

Performerin, Kulturwissenschaftlerin

Franziska Solte & Isabelle Busch

Künstlerische Leitung Kunstverein Harburger Bahnhof

 

Zum zweiten Mal veranstaltete der KunstHasserStammTisch den Wettstreit der Hamburger Eröffnungsredner. Die Teilnahme erfolgt auf Einladung. Die Regeln sind einfach:  Die Reihenfolge wird ausgelost. Die Redzeit beträgrt mindestens 7, höchstens 10 Minuten.