17. März 2013

Von Stürmen und Künstlern

 

Kippenberger Kesey Beuys Wagner

 

Martin Kippenberger bedient nur in einem sehr abgeschwächten Sinn die Retinafunktion. Gleichgültig, ob er malt oder malen lässt. Seine Gute-Laune-Kunst erhellt am reichhaltigsten aus dem Spiel mit Worten. Schon deshalb bietet es sich an, in einem ganz trivialen Sinn von Konzeptkunst zu sprechen. Aber anders als bei anderen fungiert der Konzeptkünstler Kippenberger als Entertainer. Wenn wir durchaus kein Hakenkreuz erkennen können, so benötigen wir allemal den Prüfstein selbst, hier in Form eines Gemäldes, ob gut oder schlecht gemalt. Wenn Kippy in der Ecke steht, um sich zu schämen, dürfen wir uns heute die bösen Jungs Kippenberger, Albert Oehlen, Georg Herold und Werner Büttner vorstellen, wie sie gerade neudeutsch gesprochen einen shitstorm ausgelöst haben, der, so will es das Spiel der Kunst, nach Katharsis verlangt. Malt Büttner heute immer noch? Wurde er Netzprovokateur? Man muss ja auch daran denken, wie sich die Dinge maximieren lassen.

 

Bevor der shitstorm seine digitale Weihe bekam und der Ruch seinen eklen Geruch verlor, ließ er sich noch als ein Fall von Meuten ganz einfach dadurch deuten, dass Auslöser und responsive Gruppe sich direkt gegenüberstanden und niemand sonst von dem ganzen Mist erfuhr. Es sei denn, die Sache wurde anderweitig, zum Beispiel durch Aufschreiben, kolportiert. Ein vermutlich recht frühes Vorkommnis des Wortes shitstorm findet sich in dem 1962 publizierten Roman One Flew Over the Cuckoo’s Nest des US-Amerikaners Ken Kesey. Der scheinbar taub-stumme Chief Bromden gibt sich seinem psychiatrisierten Kollegen McMurphy mit einem schlichten Thank you als Sprechen-könnender zu erkennen. Daraufhin erzählen sich beide ganz unterschiedliche Geschichten aus ihrer Kindheit, wie sie aus der Stummheit ausbrechen in das gesprochene Wort. Die Reaktionen der jeweils anderen könnte größer nicht sein: Während der junge Chief einfach ignoriert wird, obwohl er Tacheles redet, vermag der junge McMurphy, der als einziger Junge mit Erwachsenen auf einer Bohnenfarm arbeitet, den wohl ersten shitstorm seines Lebens auszulösen. Auch er wird zunächst zum Schweigen gebracht, doch dann bringt er durch eine kleine irritierende Bemerkung die Gehirne seiner Arbeitskollegen zum Rotieren. So heißt es im dritten Teil des Romans:

 

„Then, on the last day, I opened up and went to telling them what a petty bunch of farts they were. I told each one just how his buddy had drug him over the coals when he was absent. Hooee, did they listen then! They finally got to arguing with each other and created such a shitstorm I lost my quarter-cent-a-pound bonus I had comin’ for not missin’ a day because I already had a bad reputation around town and the bean boss claimed the disturbance was likely my fault even if he couldn’t prove it.”

 

Aber zurück zu Kippenbergers Konzepten. Eine Spielart davon ergibt sich aus der schlichten Umkehrung. Wenn andere noch malen, lässt er malen (Lieber Maler male mir, die Weißen Bilder). Oder: Anders als „Martin Kippenbergers Büro“ erwarten ließe, werden hier keine Dienstleistungen angeboten, sondern in Anspruch genommen. Oder: Der begnadete Aphoristiker Kippenberger muss manche Sätze nur auf den Kopf stellen, und die so erwirtschafteten Phrasen funktionieren noch weit besser als das Original. Gerade weil heute niemand mehr daran glaubt, dass jeder Mensch ein Künstler ist, wächst die Plausibilität der Behauptung, dass jeder Künstler ein Mensch sei. Ja, ja, ja. Überhaupt glauben wir Joseph Beuys mehr im 19. Jahrhundert verorten zu dürfen, als ihn einer generationellen Nachbarschaft zu Kippenberger überantworten zu können. Wie sagte doch gleich Richard Wagner in seiner Schrift aus dem Revolutionsnachfolgejahr 1849, Die Kunst und die Revolution:

 

„Die Erziehung, von der Übung der Kraft, von der Pflege der körperlichen Schönheit ausgehend, wird schon aus ungestörter Liebe zu dem Kinde und aus Freude am Gedeihen seiner Schönheit eine rein künstlerische werden, und jeder Mensch wird in irgendeinem Bezuge in Wahrheit Künstler sein.“ In Friedrich Schillers Nachfolge („Seid umarmt, Millionen“) sehen wir Richard Wagner als zweites Blumenkind, der mit seinem Drama als Gesamtkunstwerk nichts weniger als einen gigantischen lovestorm auslösen wollte.

 

Natürlich ist alles anders gekommen, und nicht nur die Kunst, auch die Konzepte gleiten den Verantwortlichen aus den Händen.

 

Dieter Wenk (3-13)