7. März 2013

Romantische Eskapade

 

Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans

Auch wer keine der allein 1.200 französischsprachigen Dissertationen zum Thema Jeanne d’Arc gelesen haben sollte, wird irgendwie eine Ahnung davon haben, wer das war. In Frankreich hat man es dem Aufklärer Voltaire nie verziehen, die französische Nationalheldin literarisch in den Schmutz gezogen zu haben. Und ausgerechnet ein Deutscher trat dann an, la pucelle zu rehabilitieren. Friedrich Schillers Stück nennt sich im Untertitel „Eine romantische Tragödie“, es wurde 1801 in Leipzig uraufgeführt und aufgrund seiner Bühnenwirksamkeit an vielen deutschen Bühnen nachgespielt, im November 1801 fand die Berliner Erstaufführung im Französischen Komödienhaus am Gendarmenmarkt statt. Am 31.12.1801 gab es dort die allerletzte Vorstellung, mit der Jungfrau von Orleans, das Haus war für die königlichen Repräsentationsbedürfnisse viel zu klein, im April 1802 konnte es in dem im Volksmund „Koffer“ genannten Theaterneubau schon wieder weiter gehen, den maximal 2000 Besuchern standen anlässlich Ifflands Adaptation der Jungfrau an das neue Haus knapp 300 Schauspieler und Statisten gegenüber, im vierten Akt des Stücks, der Krönungsfeierlichkeit in Reims, wurden quantitativ alle Register gezogen.

 

Schon früh sagt man der Johanna opernhafte Züge nach, Monologe wirken wie Arien, Musik spielt tatsächlich eine wichtige Rolle, aber Schiller hat nie ein Interesse daran bekundet, Libretti zu schreiben. Nichtsdestoweniger nannte der eine oder andere Rezensent die Johanna ein „Spectakelstück“, und so wurde sie auch wahrgenommen. Und mancher Kritiker konnte sich mit dem romantischen Zug des Stücks nicht anfreunden. Das Übernatürliche der Sendung der Jungfrau zerstörte im Grunde alles Dramatische. Und der Liebeskonflikt Johannas, den Schiller erfandt, wirkte wie ein deus ex machina, entbehrte also jeder dramatischen Notwendigkeit: „Johanna ist eine Maschine des Christlichen Fatums, und als Wunderthäterinn gehet sie aus der Reihe der uns bekannten wirklichen Wesen heraus.“ 212 Jahre später muss diese Einschätzung eines Kritikers nicht wesentlich modifiziert werden. E.T.A Hoffmanns Maschinenwesen sind dämonische Wiedergänger der Schillerschen Johanna.

 

Schillers romantische Tragödie ist nun in einer neuen Ausgabe erschienen, und zwar im Rahmen der maßgeblichen „Nationalausgabe“ von Schillers Werken. Mitten im Zweiten Weltkrieg entschlossen sich einige Begeisterte, eine historisch-kritische Ausgabe der Werke Friedrich Schillers in Angriff zu nehmen. 1943 erschien der erste Band, die Gedichte bis 1799. Drei Jahre nach dem Ende des Krieges folgten die nächsten Bände, darunter Die Jungfrau von Orleans, als Band 9 der Nationalausgabe, herausgegeben von Benno von Wiese und Lieselotte Blumenthal. Zur Neuausgabe schreibt der jetzige Herausgeber: „Die editionswissenschaftlichen Prinzipien haben sich seitdem weiterentwickelt, eine historisch-kritische Ausgabe muß heute insbesondere auch die originale Orthographie und Interpunktion bewahren. Die wichtigste Entscheidung war, daß als Textgrundlage der „Jungfrau von Orleans“ jetzt der Erstdruck und nicht der Druck im ersten Band des „Theaters“ gewählt wurde.“ Von den ca. 430 Seiten dieser Neuausgabe nimmt der dramatische Text gerade mal 164 Seiten ein. Es folgen Anmerkungen verschiedenster Art, die nicht alle Leser in gleicher Weise interessieren werden. Allein ein Blick auf die Quellenlage und die verschiedenen Lese- und Druckfassungen (ganz abgesehen von den Bühnenfassungen) lässt erkennen, dass es wie in vielen anderen literarischen Beispielen auch nicht die kanonische Fassung gibt. Übergreifende und Einzelstellenerläuterungen geben dem interessierten Leser entscheidende Hinweise zur geschichtlichen Zeit, in der Jeanne d’Arc lebte und starb, und machen immer wieder auf Schillers Eingriffe in die historische Chronologie aufmerksam. In einem Brief an seinen Dichterkollegen Goethe vom 24.12.1800 heißt es bezeichnend: „Das historische ist überwunden, und doch soviel ich urtheilen kann, in seinem möglichsten Umfang benutzt…“ Bei Schiller stirbt die Heldin nicht auf dem Scheiterhaufen in Rouen, sondern auf dem Schlachtfeld, wo sie eine regelrechte Apotheose erfährt. Ein Dichter ist kein Historiograf.

 

In einem Punkt musste sich Schiller sowieso sein Bild von Jeanne d‘Arc machen, denn es existieren von ihr keine zeitgenössischen Porträts. Im Abbildungsteil des Buchs finden sich eine Reihe von künstlerischen Porträts der Nationalheldin und diverser Titelheldinnen des Stücks von Schiller sowie die Reproduktion von Theaterzetteln, u.a. der Uraufführung in Leipzig am 11. September 1801. (Holla, da muss man mal kurz durchatmen. Liegt hier der wahre Kern, die eigentliche Modernität des Stücks?) Mit 99,95 € ist dieses Buch natürlich relativ teuer. Aber die Arbeit, die darin steckt, kann gar nicht reell auf den Preis umgewälzt werden. Es ist ein Buchereignis, auch ästhetisch.

 

Dieter Wenk (2-13)

 

Schillers Werke. Nationalausgabe, Band 9.2: Die Jungfrau von Orleans, hrsg. im Auftrag der Klassik Stiftung Weimar und des Schiller-Nationalmuseums in Marbach von Norbert Oellers. Bandherausgeber Winfried Woesler, unter Mitarbeit von Christine Hellmich. Neue Ausgabe 2012, Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar

 

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