16. Februar 2013

Die Geschichte geht weiter

 

„Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter.“  Wie also der König, ihr Gebieter, Abend für Abend, nachdem er die schöne und kluge Schahrasad geliebt hat, ihrer Geschichte lauschte, so lesen wir mit wachsender Begeisterung die wunderschönen Erzählungen aus „101 Nacht“.

 

„101 Nacht“? Ja – diese Geschichten sind sozusagen die „kleine Schwester“ von „Tausendundeiner Nacht“. Beide sind miteinander verwandt – und doch ganz anders. Und: Die Erzählungen von „101 Nacht“ sind eine weltliterarische Sensation. Entdeckt von Claudia Ott, die sich bereits um eine großartige Ausgabe von  „Tausendundeine Nacht“ verdient gemacht. Dies aber ist jetzt eine eigene, eine äußerst spannende Geschichte. 2010 fiel der berühmte Arabistin in der Ausstellung „Schätze des Aga Khan Museums – Meisterwerke islamischer Kunst“ eine 800 Jahre alte und damit die älteste Handschrift unter dem Titel „Hundert und eine Nacht“ auf. Ein Fund, auf den die leidenschaftliche Wissenschaftlerin und Übersetzerin förmlich gewartet hatte.

 

Wie dies alles vonstatten ging, welche Hindernisse zu überwinden waren, um die Übersetzung zu realisieren, wie sie uns jetzt in einer außergewöhnlichen, schönen Ausgabe vorliegt, erzählt Claudia Ott im Nachwort. Auch davon, dass diese Handschrift im Gegensatz zur großen Schwester nicht aus dem Orient stammt, sondern aus dem Okzident, sprich: aus Andalusien, dem „arabischen Osten“. Die ganze Geschichte liest sich jedenfalls, im Anhang des Buchs von Ott ausführlich dokumentiert, wie ein literaturwissenschaftlicher Kriminalroman.

 

Das und mehr sollte man wissen, wenn man sich an die Lektüre dieser Geschichten macht, die Schahrasad ihrem Gebieter Nacht für Nacht erzählt. Eingebunden in eine Rahmenerzählung werden die Binnenerzählungen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur, immer wieder auch durch kleine Nebengeschichten unterbrochen – und geben doch ein geschlossenes Ganzes.

 

Eigenartige Wesen begegnen dem Leser: Lindwürmer und Jungfrauen. Edle Ritter bemühen sich um schöne Frauen und weniger edle treiben ihr Unwesen. Kalifen und Wesire geben sich die Ehre. Von Abenteuern wird erzählt und von Liebe, Leidenschaft und Tod. Der König ist derjenige, dem all diese Geschichten der schönen Schahrasad zugedacht sind. Bisher hatte er seine Frauen nach der ersten Liebesnacht getötet. Jetzt aber fesseln ihn die fantasievollen Erzählungen der listigen Schahrasad, die um ihr Leben fabuliert. Ihre Erzählungen enden jede Nacht an der spannendsten Stelle, sodass der König nicht umhin kann, sie nicht nur nicht zu töten, sondern am nächsten Abend wiederzukommen, denn „so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter“.

 

Am Ende ist Schahrasad schwanger. „Da begnadete der König Schahrasad und ließ sie fortan unter ihren Mädchen und Dienerinnen ein angenehmes Leben führen. Lob sei Gott, dem Herrn der Weltbewohner! Damit ist die Geschichte von Hundertundeiner Nacht zu Ende.“

 

Leider. Aber man wird dieses Buch immer wieder gern zu Hand nehmen, wird sich bezaubern lassen von der blumenreichen und schönen Sprache, von den wundersamen Geschichten und nicht zuletzt von der herrlichen bibliophilen Ausstattung dieses Buchs.

 

Günter Nawe

 

101 Nacht. Aus dem Arabischen von Claudia Ott. Manesse Verlag, Zürich,  336 Seiten, 49,95 €

 

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