9. Januar 2013

Interview mit Eli Cortiñas

great thoughts on a lost generation, 2012, mixed media, 3 parts, Eli Cortiñas © Soy Capitán, Berlin

 

Neither glance nor glory

Eli Cortiñas arbeitet in ihren Video-Loops und Assemblagen hauptsächlich mit found footage und Filmszenen aus Arthaus-Klassikern von Buñuel, Cassavetes oder Truffaut sowie mit Zeitungsmaterialien der 60er und 70er Jahre. Ihren Arbeiten wohnt eine Traumlogik und Absurdität inne, die an die Filme Nicolas Provosts oder an André Bretons Werke denken lassen. Dennoch sind sie analytisch scharf und konterkarieren geschlechterpolitische Zuschreibungen, familiäre Beziehungskonflikte oder bürgerliche Aufstiegsfantasien. In den letzten Jahren hat Cortiñas ihre Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen präsentiert und diverse Preise erhalten. Die Ausstellung „Neither glance nor glory“ in der Berliner Galerie „Soy capitán“ lief bis zum 27.10.2012 und ist ihre zweite Einzelausstellung.

Die spanische Künstlerin Eli Cortiñas kommt eigentlich vom Film und hat ihr Handwerk auf der Kunsthochschule für Medien in Köln bei Marcel Odenbach und Matthias Müller gelernt. Über das Collagieren, Schneiden und layering, ein zentrales Moment in ihrem Arbeitsprozess, findet eine hoch intensive Auseinandersetzung mit dem Material statt. Dabei geht es weniger um eine neue cinematografische Bildchoreografie oder Repräsentationslogik, sondern um den Prozess des editing, re-writing oder der Dekonstruktion und Unterbrechung von Narration, und um die Frage, inwieweit man sich das Material aneignen kann, ohne dies vollständig zu assimilieren.

 

Gespräch:

Elke Stefanie Inders: In deinen Arbeiten, sowohl in deinen Videos als auch in deinen Collagen und Assemblagen, verwendest du vorwiegend Filmszenen aus Arthaus-Produktionen, z. B. „Belle de jour“ von Buñuel oder in deiner derzeitigen Berliner Ausstellung ist der dargestellte Loop „Perfídia“ aus einer Filmszene aus „Le charme discret de la bourgeoisie“ montiert. Warum dieser Rückgriff in die Filmgeschichte?

 

Cortiñas: Ich war von der Ästhetik dieses Materials fasziniert. Außerdem wurden diese Filme ganz anders, wesentlich elliptischer geschnitten und haben daher einen völlig anderen Rhythmus. Mich hat das als Filmemacherin ganz besonders angesprochen. Natürlich sind diese Filme ein wichtiger Teil meiner eigenen Filmsozialisation, die zunächst ästhetisch prägend waren. Als Jugendliche ahnte ich noch nicht, worum es z. B. bei Pasolinis „Teorema“ ging. Heute sind diese Filme Mainstream-Arthaus-Klassiker, aber damals waren diese Filme revolutionär. Aus heutiger Sicht bietet mir genau diese zeitliche Differenz und die mir völlig fremde Frauenrolle in den Filmen eine umso größere Angriffsfläche, um mein eigenes Konzept hineinzuprojizieren.

 

Inders: Ich denke bei meiner Frage eben auch an die Debatten um Simon Reynolds „Retromania“.

 

Cortiñas: Nostalgie und das sentimentale Wälzen in Erinnerung interessieren mich überhaupt nicht. Natürlich hat es auch etwas mit Kinoerinnerung zu tun, wenn ich mit Filmklassikern arbeite, und oftmals schauen sich die Rezipienten die Filme dann im Original wieder an, aber dann in erster Linie deshalb, um eine neue Aussage herauszuarbeiten. Und natürlich sehe ich die Gefahr, ganz besonders in den Collagen, dass dies nostalgisch oder „retro“ wirken könnte. Ich muss allerdings sagen, dass ich eine hohe Affinität zu Collagen habe.

 

Inders: Du arbeitest u. a. auch mit Magazin- und Filmmaterial aus der DDR. In einer Arbeit von 2009 „I`m the rabbit“ hast du Szenen aus dem Kurt Mätzig Film „Das Kaninchen bin ich“ verwendet. Dieser Film war in der DDR verboten, da er sich kritisch mit der DDR-Strafjustiz auseinandersetzte. Ich meine, es gibt derzeitig, v. a. in Berlin, eine zunehmende öffentliche Bereitschaft, sich mit dem künstlerischen Erbe der DDR auseinanderzusetzen. Du kommst aus einem ganz anderen kulturellen Kontext und deine Großeltern sind kubanischer Herkunft. Findest du in diesen Materialien eine neue oder andere Ästhetik?

 

Cortiñas: Allgemein ist es so, dass ich mir nicht sage, „so, jetzt mache ich mal was mit Truffaut“, sondern dem Ganzen geht immer ein ganz bestimmtes Thema voran und dann finde ich in einem Film, z. B. in „La Sirène du Mississippi“ oder in „Belle de Jour“, das Konstrukt der Ehe. Bei Mätzig war es so, dass ich dort auf das Frauenbild in der DDR gestoßen bin, was mich natürlich auch als Außenstehende interessiert und fasziniert hat. Ich lebe schon seit 20 Jahren in Deutschland und habe damals nach der Wende sehr viele Freunde kennengelernt, die in der DDR aufgewachsen sind. Mätzigs Figuren sind einerseits emanzipiert, aber geraten dann doch wieder in diesen klassischen Dreierkonflikt einer amour fou. All das verbunden mit der Hoffnung auf eine bürgerliche Ehe, samt der materiellen Wünsche, die ja maßgeblich für ein Frauenbild innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft sind. Die Magazine aus der DDR sind für mich von reinem materiellem Interesse und der Alterungsprozess des Papiers ist absolut faszinierend. Die Fotografie löst sich im Laufe der Zeit komplett auf und die Bilder sehen dann oft wie Malerei aus; ein ursprünglich pornografisches Bild erinnert nun an klassische Malerei. Außerdem ist es interessant, wenn ich dieses Material aus der Schmuddelecke hole und versuche, dieses zu institutionalisieren.

 

Inders: Der Titel deiner Collage innerhalb der Ausstellung „All my life, my heart has yearned for a thing, I cannot name“ ist ein Breton Zitat und damit französischen Ursprungs. Welche Bedeutung hat die Sprache in deinen Arbeiten?

 

Cortiñas: Das ist ungefähr der gleiche Sachverhalt wie die Auseinandersetzung mit verschiedenen Medien. Wenn ich mich mit einem Thema oder Konzept auseinandersetze, dann stellt sich für mich immer die Frage, ist dieses in ein Bild, einen Film oder in ein Video zu übersetzen. Bei den Titeln ist es genauso. Allerdings sprechen einige Arbeiten ganz autonom eine bestimmte Sprache und das ist dann z. B. das Englische. Andererseits bin ich auch sehr am Übersetzungsprozess an sich interessiert und an dem, was infolge eines Übersetzungsprozesses verloren geht. Für mich ist das Jonglieren zwischen den Sprachen ebenfalls ein ganz natürlicher Prozess. Allgemein gilt ja auch für found footage, dass bei der Verwendung eines Zitats in einer anderen Sprache als im Original der Widererkennungswert gering ist. Bei der Übersetzung und meiner eigenen Aneignung geht etwas verloren, was ich folglich durch mein eigenes Bild ersetze.

 

Inders: Auffallend in deinen Arbeiten ist, sowohl in den Videos als auch in den Collagen, dass du dir Frauenfiguren aneignest, die eine hohe Ähnlichkeit aufweisen. Eine Ausnahme ist Judy Garland aus deiner Arbeit „No place like home“ von 2006. Dies stellt also die Folie dar, vor der du eine geschlechterpolitische Kritik formulierst?

 

Cortiñas: Für mich sind meine Arbeiten per se feministisch. Mich faszinieren an diesen Figuren das Obzessive und das Standardisierte. Daher nehme ich auch immer blonde Frauen, die als Inbegriff weiblicher Schönheit gelten, aber eigentlich auch total hässlich sind. Wenn ich irgendwann fünfzig Videoarbeiten gemacht habe, in denen dieser standardisierte Typus Frau auftaucht, hoffe ich ein cinematografisches Vokabular schreiben zu können, in dem es darum geht, wie diese Frauen porträtiert werden und wie diese dann in meinen Arbeiten immer wieder aufgegriffen und dargestellt werden. Die Männerrolle in meinen Filmen reduziere ich wiederum so weit, dass diese oft nur als Torso auftauchen oder lediglich einen Satz sagen, wie z. B. in „Vogel, Kirsche, Geliebte (2010)“. Diese Darstellung entspricht ja exakt der Situation, wie manche Frauenrollen in den Filmen geschrieben worden sind; als schemenhafte platte Attitüde, ohne jegliche Kontur. Ich versuche das dann umzukehren, ohne plakativ zu werden. Wenn man heutzutage postfeministisch arbeitet, dann kann man so eine Kritik nur ganz subtil formulieren, oder muss etwas ganz anderes darstellen. Ich hoffe, dass langfristig so etwas wie eine Strategie sichtbar wird. Jedenfalls ist das mein Interesse.

 

Inders: Du hast gesagt, dass dich Harun Farockis Arbeiten sehr interessieren.

 

Cortiñas: Ich war schon immer von seinen Dokumentarfilmen fasziniert. In der Kunsthochschule und in den Seminaren mit Klaus Wildenhagen gehörte er zu den wichtigen und prägenden Leuten. Zunächst war das eine sehr spröde Filmsprache, die mich aber gleichermaßen fasziniert hat, z. B. wird bei Farockis „Fly-on-the-wall“ lediglich beobachtet, aber dann auch wieder ganz klar und scharf eingegriffen, nach dem Motto „Hier bin ich, der Filmemacher und ich mache mein Statement“. Für mich ist Farocki mehr im Kontext des Dokumentarfilms faszinierend und natürlich auch die Tatsache, dass er mehr und mehr von der Kunstszene adaptiert wird. Sicherlich sind seine neueren Arbeiten anders zu verorten.

Meine Sprache ist wahrscheinlich eher blumiger und auch deskriptiver. Es war allerdings auch eine Art discovery, diese gesamte Hamburger Schule kennenzulernen, obwohl diese Arbeiten mit meinen überhaupt nichts zu tun haben.

 

Inders: Du hast ja bei Marcel Odenbach studiert …

 

Cortiñas: … ja richtig und bei Matthias Müller.

 

Inders: Inwiefern hat dich Odenbach beeinflusst? Er arbeitet ja auch mit der Methode des layering.

 

Cortiñas: Ich kannte Odenbach vorher als Künstler und mochte seine Filme immer schon sehr gerne. Allerdings habe ich wesentlich später erst erfahren, dass er auch Collagen macht. Odenbach und Matthias Müller, der aus der found footage-Ecke kommt, haben meine Diplomarbeit „Dial M for mother (2008)“ betreut. Bei Odenbach war die Tatsache, dass er auch Architekt ist, sehr bedeutsam. Dadurch hat er noch mal eine ganz andere Sicht auf die Dinge und er hat einfach ein unglaublich ausgeprägtes Verständnis für Raum und Atmosphäre. Außerdem ist er, was viele nicht wissen, sehr hilfreich und inspirierend, wenn es um Ton und Musik geht. Ihm ging es niemals um Selbstprofilierung oder darum, dass ihn jemand nachahmte. Nach meinem Abschluss gab es dann ja auch eine große Marcel-Odenbach-Retrospektive und mir wurde dann erst bewusst, wie komplex sein Werk ist. Gut, dass ich dies nicht vorher wusste; es hätte mich wahrscheinlich wahnsinnig eingeschüchtert.

 

Inders: In deiner Arbeit „Vogel, Kirsche, Geliebte von 2010“ rekurrierst du auf ein Buch von Franz Xaver Baier „Der Raum. Prolegomena zu einer Architektur des gelebten Raumes“. Ein Kapitel trägt den Titel „Architectures of family and happiness“.

 

Cortiñas: Der Titel „Vogel, Kirsche, Geliebte“ ist sogar aus seinem Buch, das ist tatsächlich ein Name eines Kapitels. In „Architectures of family und happiness“ geht es um das Konstrukt von Familie und Liebe. Baier hat diese Gefühlskonstrukte anhand von Architekturen rekonstruiert, in denen diese Thematik organisch aufgegriffen und damit institutionalisiert wird. Das Buch war für meine Arbeit auch insofern interessant, da es einerseits sehr scharf analysierend ist, aber die Sprache immer ins Lyrische geht.

 

Inders: Bei „Confessions with an open curtain von 2011“ geht es u. a. um Rauminszenierung und Atmosphäre. Auf mich wirkt diese sehr barock und man assoziiert das Bild eines Beichtstuhls. Gleichzeitig wirkt das Ganze sehr befremdlich.

 

Cortiñas: Ja, genau das ist die Idee. Allerdings ist in einem Beichtstuhl immer ein Vorhang oder Gitter, um den Pfarrer vom Beichtenden zu trennen. Dieser Vorhang muss immer geschlossen sein, weil die Beichte ja nur dich, Gott und den Pfarrer betrifft. Wenn also innerhalb der Beichte der Vorhang offen bleibt, dann gleicht das einem Akt der Blasphemie. Man muss das aber nicht so sehen. Die Vorhänge in meinen Arbeiten stammen alle aus Filmmaterialien, die etwas mit dem Theater zu tun haben, und deshalb sind sie auch so opulent und immer in Bewegung.

 

Inders: Vorhin hattest du „Dial M for mother“ erwähnt. Der Titel bezieht sich sicherlich auf den Hitchcock-Film „Dial M for murder. Hier arbeitest du mit Filmszenen aus Cassavetes „A woman under the influence“ mit Gena Rowlands. Irgendwie wirkt diese Arbeit sehr psychologisierend auf mich, ein klassisch verzweifelter Mutter-Tochter-Konflikt. Andererseits geht es meiner Meinung nach auch um den Akt der Appellation, seitens Gina Rowlands, die sich fragt, wer ihre Mutter im symbolischen Sinne ist. Dies schlägt sich auch ganz konkret in deiner Arbeit nieder; das Video besteht aus einem immer wieder endenden und dann wieder aufgenommenen Telefonat zwischen einer Mutter und ihrer Tochter. Die Mutter wird allerdings niemals in einem symbolisch positiven Sinne für die Tochter erfahrbar. Im Gegenteil, sie wird immer hysterischer, verzweifelter und ist sich letztendlich selber fremd.

 

Cortiñas: Ich würde sagen, dass keine meiner Arbeiten eine klassische Narration beinhaltet. Es gibt immer um ein offenes Gefangensein innerhalb eines Konstrukts. Diese Situation lädt sich immer wieder auf, kulminiert und kippt ins Lächerliche, Humoristische um, oder in eine Hysterie, die dann fast nicht auszuhalten ist. Bei „Dial M for mother“ geht es um ein kaleidoskopisches Bild der Mutter, um das Konstrukt der Mutter als Ursprung. „No place like home“ handelt wiederum von der Sehnsucht nach einem Zuhause, was sich am Ende des Loops als Horrorszenario herausstellt: Judy Garland fällt das Haus buchstäblich auf den Kopf. Die Arbeit „Dial M for mother“ habe ich anderthalb Jahre geschnitten und es war sehr schwierig, genau den Punkt zu treffen, an dem das Ganze keine Narration mehr ist, sondern lediglich ein Gefühlsstrudel, der sich immer wieder auflädt.

 

Inders: Gerade hast du gesagt, dass das Humoristische dabei ganz wichtig ist. Bei mir stellt sich allerdings vorrangig ein Gefühl des Erschreckens und auch der Erleichterung ein, verbunden mit der Frage oder These: Gibt es eine Mutter? / Es gibt keine Mutter! Das Ganze ist sowieso ein Konstrukt, ein regelrechter Mutterursprungsmythos.

 

Cortiñas: In dieser Arbeit gibt es einen Moment, der auch als off screen-Szene zu verstehen ist: „Don`t work so autobiografically, be more creative.“ Daraufhin fällt Gena Rowlands augenrollend ins Bett. Dies ist eigentlich mehr sarkastisch als humoristisch gemeint. Es steckt natürlich auch eine Komik in diesen Standardsätzen drin, und letztlich ist das ja auch meine Mutter, die da spricht. Eine Direktorin war beim Anschauen der Arbeit sehr amüsiert, weil sie mit der Arbeit lateinamerikanische Telenovelas assoziierte. Man könnte hier also schon von einem inhärenten Gesprächsmuster zwischen Müttern und Töchtern sprechen. Ich wollte das Ganze in eine universelle Form transportieren, unabhängig davon, dass der Arbeit natürlich auch eine gewisse Härte innewohnt.

 

Elke Stefanie Inders

 

Text zur Ausstellung Neither glance nor glory