6. November 2012

FÜNFZIG SCHATTIERUNGEN VON GRANIT


Ehrlich gesagt, ich wundere mich, weshalb Paul Ryan die Ideen von Ayn Rand wie eine Monstranz vor sich her trägt, denn diese Ideen widersprechen jeglichem politischen Engagement, auch dem der Republikanischen Partei. Zu den Feinden der Eisenbahn-Unternehmerin Dagny Taggart gehört ihr Bruder James „Jimmy“ Taggart mit seinen Freunden in Washington, die letztlich nur die Wirtschaft ruinieren können. Außerdem lehnt sie jegliche Berufsverbände ab, und Arbeitgeberverbände trifft dieses Verdikt ebenso wie Gewerkschaften, Sekten und sämtliche Vereine. Hinzu kommt in Rands Quasi-Bibel Atlas Shrugged der Boykott durch die Symbolfigur John Galt, der eben nicht nur den Golddollar zu seinem Emblem macht, sondern auch jegliche Arbeit boykottiert, deren Lohn seinen Ansprüchen nicht gerecht wird. Während die Freunde in Washington nämlich Arbeitslose und Firmen gleichermaßen zwingen, unbesetzte Jobs anzunehmen, fordert Galt all jene zur Desertion ihrer Arbeitsplätze auf, wenn sie durch das Dumping mit Hungerlöhnen abgespeist werden.

Ayn Rands Opus Magnum Atlas Shrugged wurde vor Kurzem von Kai M. John veröffentlicht, einem begeisterten Leser aus der Wirtschaft, der den Roman bei seinem Aufenthalt in den USA entdeckt hat. Er griff nicht auf die Fassung Atlas wirft die Welt ab von 1991 zurück, sondern erstellte mit Der Streik, wie der Roman nach seinem Arbeitstitel heißt, zusammen mit seinen Übersetzerinnen Claudia Amor, Alice Jakubeit und Leila Kais eine neue Fassung, die er in einer Auflage von 1.000 Exemplaren sowie als eBook vertreibt. Dieses Werk bildet gewissermaßen die Brücke zwischen der Frank-Lloyd-Wright-Hagiografie The Fountainhead und ihrer Dystopie Anthem aus einer fernen, unbestimmten Zukunft. In Anthem wirft Rand die Frage auf, wie es zu einer Gesellschaft kommen konnte, die Individualität als Verbrechen betrachtet und in einem gesichtslosen Massenstaat zwar von Brüderlichkeit redet, aber die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung missachtet.

Der Titan Atlas aus der griechischen Mythologie trägt auf seinen Schultern die Last der Welt. Rand zieht hier eine Parallele mit den unternehmerisch veranlagten Erfindern, die sie einzig und allein für den Fortschritt, den Wohlstand und die Selbsterhaltung der menschlichen Spezies verantwortlich macht. Ein zuckender Atlas, so die wörtliche Übersetzung des Titels, hält die Welt nicht mehr sicher in seinen Armen, vielmehr droht er, sie zu verlieren. Rand beschwört hier einen in eine nahe Zukunft verlagerten Konflikt, bei dem die schöpferischen Genies verkannt, um die Frucht ihrer Gedanken gebracht und letztlich enteignet werden. Ihre Helden formt sie als Mischungen aus Leonardo da Vinci und Thomas Alva Edison, die eine Zweite Renaissance hervorbringen könnten, durch die Verachtung der übrigen Menschen aber verstoßen werden. Unter der Führung des brillanten Erfinders John Galt und finanziert durch den risikofreudigen, skurrilen Banker Midas Mulligan ziehen sie sich in ihren Schmollwinkel nach Colorado zurück und errichten dort hermetisch abgeriegelten ihr Schrebergarten-Utopia. Das mag verschroben wirken, weckt jedoch gewisse Sympathien.

Bis zum Anfang des dritten Teils bleibt John Galt eine mythische Figur ohne Biographie, eine Projektionsfläche für Hoffnungen oder Ängste, deren Leere sich in dem Sprichwort „Who is John Galt?“ symbolisiert, das benutzt wird, sobald jemand keinen Rat mehr weiß. Der Fokus ihrer Erzählung liegt bei Dagny Taggart, die für das operative Geschäft von Taggart Transcontinental verantwortlich ist, während ihr Bruder öffentlich als Vorsitzender des Aufsichtsrats den Eisenbahnkonzern nach außen repräsentiert. In der Halle der Konzernzentrale in New York City steht im Foyer eine Statue des Großvaters der beiden, Nathaniel Taggart, der im Wilden Westen das Unternehmen gegründet hat, sich von Widerständen nicht abhalten ließ und zur Not auch Gewalt anwendete, um sich durchzusetzen. Dagny verehrt diesen Pionier und lebt nach dessen Idealen. Ihr Bruder hingegen versucht, sich durch Schwierigkeiten hindurch zu lavieren und sitzt die Dinge so lange aus, bis sie geklärt sind, obwohl er die Rolle des Machers, in der ihn die Medien zeigen, bedenkenlos akzeptiert und es de facto besser weiß.

Der Roman beginnt, als Taggart Transcontinental durch technische Mängel, Hindernisse beim Nachschub von Material, unmotivierte und risikoscheue Angestellte sowie Vorschriften des Staates in eine Krise gerät, die zu einem Konkurs führen könnte. Der erste der drei Teile begleitet seine rechte Hand Dagny dabei, wie diese einen neuen Streckenabschnitt in Colorado für den transkontinentalen Schnellzug Comet, das zu der Zeit gerade einen wirtschaftlichen Boom erlebt, trotz dieser Widrigkeiten baut und einweiht. Weil Taggart Stahl nicht in ausreichendem Maße für den Bau von Schienen und eine Brücke organisieren kann, trifft sie erstmals den Stahlwerksbesitzer Henry „Hank“ Rearden, der nach zwanzig Jahren Forschung ein neues, blaugrün schimmerndes Metall entwickelt hat, das leichter und belastbarer ist als Stahl. Dagny vertraut Hank und baut die neue Linie mit Rearden-Metall, das vorher nie in der Praxis verwendet wurde. Die Presse verdammt diese Naivität, weil der Comet ein Personenzug ist und beschwört die Gefahr eines Unfalls mit hunderten von Passagieren herauf. In einem Medien-Coup brechen Dagny Taggart und Hank Rearden die Vorbehalte der Kampagne, indem sie mit fünfzig ausgewählten Angestellten die natürlich erfolgreiche Jungfernfahrt des Comet auf diesem Abschnitt absolvieren. Weil diese Linie Unmögliches Realität werden ließ, wird sie John Galt Line getauft. Die toughe Dagny, mehr Tomboy als Karrierefrau, geht mit dem verheirateten Hank eine sexuelle Beziehung ein, während der seine Frau Lillian, seine Mutter und seinen Bruder, die er unterhält, zunehmend als belastende Parasiten ansieht.

Eine wichtige Nebenfigur stellt Dagnys ehemaliger Liebhaber Francisco d'Anconia dar, der Erbe des globalen Konzerns d'Anconia Copper, das in Lateinamerika von einem spanischen Abenteurer aufgebaut wurde. Francisco, den Dagny Frisco nennt, erweist sich als technisches Wunderkind, das schon als Kind heimlich einen Ferienjob als Leiter eines Stellwerks bei Taggart Transcontinental antritt, und sich später auf der Universität als intellektueller Überflieger erweist. Sein Spitzname ist „Höhepunkt der d'Anconias“. Die neue Linie wird auch vorangetrieben, weil sie den Frachtverkehr zu den San Sebastián Mines in der Volksrepublik Mexiko effizienter gestalten würde, allerdings schwebt geraume Zeit das Gerücht im Raum, Mexiko wolle diese Kupferminen verstaatlichen. Als das geschieht, hat d'Anconia die Minen geplündert, sein kompetentes Personal abgezogen und die Zugänge verschütten lassen. Mittlerweile verwandelt sich Francisco vom Geschäftsmann zum Salonlöwen, Womanizer und verschwenderischen Gestalter von grandiosen Partys, mit denen er die Klatschspalten füllt. Dagny verachtet Frisco dafür, meidet ihn und wundert sich nur, als er plötzlich spurlos aus der Öffentlichkeit verschwindet und d'Anconia Copper mit einer schwarzen Null hinterlässt. Er war jedoch weder der erste noch der letzte erfolgreiche Geschäftsmann, der über Nacht vom Erdboden verschluckt worden zu sein scheint.

An der Universität gehörte der Erbe der Kupferminen zu einem studentischen Triumvirat, um dessen Gunst die zwei Philosophie-Professoren Robert Stadler, einem Vertreter des Konstruktivismus, und dessen Antagonisten Professor Hugh Akston buhlten. Akston gewann diesen Wettbewerb und scharte in privaten Diskussionsrunden seine drei besten Schüler um sich: d'Anconia, Ragnar Danneskjöld und ein drittes Genie, dessen Namen niemand mehr erwähnt. Der Anhänger der aristotelischen Logik, deren drei Sätze den drei Teilen des Romans ihre Titel geben, verfechten einen materialistischen Realismus mit eindeutigen Aussagen. Der kleine Zirkel baut diesen Ansatz zu einem totalitären System aus, der das gesamte Leben der Menschen bestimmen und ihrer Ansicht nach keine Widersprüche enthält. Als Stadler das Institut der Universität in eine staatliche Anstalt umwandelt, kündigt Akston und verschwindet.

Dagny Taggart und Hank Rearden zelebrieren den Erfolg der John Galt Line und des Rearden-Metalls, das umgehend auf dem Markt verlangt wird, mit einem Roadtrip durch den Mittelwesten. Dabei erinnern sie sich die Twentieth Century Motor Company in Starnesville, Kansas, die vor Jahren den besten Wagen entwickelt hatte. Dagny und Hank entschließen sich impulsiv dafür, sich die Fabrik anzusehen und stoßen auf ein verlassenes, unbewachtes Fabrikgelände inmitten einer Geisterstadt mit wenigen Slums, in denen zerlumpte Gestalten herumlungern. Dabei stoßen sie zwischen Spinnweben, verrostetem Schrott und in einer geplünderten Halle auf eine Konstruktion, in der Dagny einen revolutionär neuen Motor erkennt. Sie lässt den Motor in den Untergrund von New York transportieren und versteckt ihn dort in einem Glassarg, der hinter Stahltüren verborgen ist. Für ein hohes Preisgeld sucht sie einen Wissenschaftler, der ihr das Prinzip hinter der Maschine erklären kann, und geht detektivisch den Spuren des Automobilwerks nach. Nachdem der Gründer Starnes gestorben war, krempelten dessen Erben, seine drei Kinder, das Unternehmen zu einer egalitären Kommune um, in der Bedürfnisse höher geachtet wurden als die Fähigkeiten eines Individuums. Dadurch ging der Betrieb mit schrumpfenden Löhnen, heftigen Revolten und desertierendem Fachpersonal langsam aber sicher zugrunde.

Auf ihrer Quest nach dem Erfinder landet Dagny in den Rocky Mountains in einem entlegenen Diner und genießt dort den besten Hamburger ihres Lebens. Deshalb möchte sie den Koch kennenlernen, in dem sie niemand anders als Professor Acton erkennt, der Wert darauf legt, jede seiner Tätigkeiten auf dem höchsten Niveau auszuüben. Statt ihr zu sagen, wo sie den Erfinder aufspüren kann, drückt er ihr einen Golddollar wie ein magisches Geschenk in die Hand und verschwindet. Hank Rearden geschieht eine ähnliche Offenbarung, indem er bei Starnesville eine geheimnisvolle Gestalt in einem Wagen mit dem revolutionären Motor verfolgt. Diese dreht den Spieß um und versucht, Rearden zur Demission mit der schwarzen Null zu bewegen. Dabei entpuppt er sich als Ragnar Danneskjöld, der Frachtschiffe angreift und versenkt, mit denen notleidende Volksrepubliken in Europa unterstützt werden und vor dem Ruin gerettet werden sollen; außerdem vernichtet er jede Fabrik, die Rearden-Metall herstellt. Der Pirat versteht sich als Anti-Robin-Hood, der den Armen nimmt, um den Reichtum zu erhalten.

Die Flucht der Innovatoren und erfolgreichen Unternehmer schaukelt sich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise auf, womit staatliche Eingriffe in Unternehmen gerechtfertigt werden. Der gestandene Unternehmer Rearden muss es sich gefallen lassen, einen grünen Absolventen einer Universität als Kontrolleur in seinem Werk zu dulden, den er abschätzig Amme („wet nurse“) nennt. Dadurch entsteht eine technokratische Nomenklatur, die Erfinder erpresst, ihre Patente kostenlos der Öffentlichkeit zu schenken; demütigende Tribunale mit jenen abhält, die sich weigern; und ansonsten den Mangel verwaltet. Doch diese umständliche Planwirtschaft kann nicht einmal den Status Quo erhalten und führt deswegen einen Austeritätskurs, in dem ständig gekürzt und Leistungen heruntergefahren werden. Irgendwann erreicht der Niedergang die John Galt Line, und der Comet muss auf offener Strecke im Mittelwesten halten.

Dagny Taggart hat inzwischen einen Wissenschaftler gefunden, der in Utah das Rätsel des Motors lösen soll. Weil der ihr aus der Misere mit dem Comet heraushelfen soll, fliegt sie zu ihm, bloß um zu erfahren, dass dieser gerade von einem Unbekannten abgeholt worden ist. Dagny verfolgt mit ihrem Flugzeug die gerade abhebende Maschine über hunderte von Meilen, bis diese in Colorado in einem Gebirgsmassiv verschwindet. Sie folgt dennoch der Landebahn, durchbricht einen elektromagnetischen Schutzschirm und legt eine Bruchlandung auf dem getarnten Flugplatz hin. Dort empfängt sie John Galt, der Pilot der anderen Maschine, der erste Deserteur, der Schöpfer eines Utopia, neben Francisco d'Anconia und Ragnar Danneskjöld der dritte Student Actons und der Erfinder des revolutionären Motors.

Titan bleibt nicht der einzige mythische Bezugspunkt. Rand führt Hank Rearden vor einer Kulisse aus Abraumhalden, glühenden Hochöfen und flüssigem Metall ein, womit Prometheus inkarniert wird. Dieses neben John Galt wichtigste Leitmotiv führt sie schon vorher über den Komponisten Richard Halley ein, dessen gleichnamige Oper sehr frei nach der antiken Vorlage bei der Premiere durchfällt. Fortan stellt Halley seine Kunst ein und verschwindet bald. Die negative Kritik wird verständlich, denn Halleys Prometheus endet nicht unter dem hungrigen Schnabel eines Vogels, der seine nachwachsende Leber auf dem Kaukasus verschlingt. Nein, Halleys Prometheus feiert einen Triumph sondergleichen und wird geachtet. In ihrem Roman präsentiert Ayn Rand der undankbaren Öffentlichkeit ihre gallige Rache, indem sie die Vertreter des technischen Fortschritts und des Unternehmergeists in den Streik schickt – ursprünglich sollte der Roman deshalb The Strike heißen.

Die belletristische Komposition könnte ein wahrer Pageturner sein, aber sie überzeugt nicht, weil sie in ihrer selbstgerechten Naivität vor Denkfehlern und Plotlöchern strotzt. Ihre nietzscheanischen Superhelden der Tatkraft und des Profits sind extrem platt und ähneln sich als Workaholics mit ihren metallisch klingenden, tonlosen Stimmen, ihrer reduzierten Gestik und Mimik sowie ihrer mangelnden Emotionalität. Sie gleichen weniger Charakteren mit Asperger-Syndrom als humanoiden Golems aus fünfzig Schattierungen von Granit und den Pods in den Körperfresser-Filmen. Die negativen Figuren sind jedoch auf den ersten Blick als dumpfe Hassobjekte erkennbar: widerliche Sadisten, hundsgemeine Arschlöcher und fiese Intriganten. Rand kennt weder ein Unbewusstes noch Zielkonflikte, weshalb jedes menschliche Handeln bei ihr märchenhaft aufgeht. Menschen ordnet Rand deshalb nach einem schlichten Schema ein, das mit realen Menschen nichts gemein hat. Für Rand sind nur Erfinder und Unternehmer wahre Menschen, der Rest besteht für sie aus Parasiten, Mitessern und Tieren, die niedriger wären als jedes kriechende Tier. Dass Menschen durch heftige Erlebnisse gebrochen werden können; dass einigen das Kapital fehlt, um ihre Ideen kommerziell umsetzen zu können; dass Kindern jegliches Interesse und schöpferische Kraft ausgetrieben werden, weil sie niedrige Dienstleistungen verrichten sollen, all das kommt ihr nicht in den Sinn. Der nicht reich wird oder seinen Reichtum vermehren kann, ist in ihren Augen dumm, faul und verdient es, bei einem Unfall zu sterben.

Ihre Antagonisten zeichnen sich in Umkehrung ihrer Heldenfiguren durch einen negativen Willen aus, der sich als Altruismus verkaufen will. Und für gewöhnlich lässt sich dieser Willen umsetzen oder durchsetzen, denn wie Margaret Thatcher kennt Rand keine Gesellschaft, nur eine Anzahl von Individuen und die Masse. Psychologische und soziale Dynamiken, die entstehen, sobald mehrere Personen zusammenkommen, liegen deshalb jenseits ihrer Wahrnehmung. Außerdem differenziert Sie nicht zwischen den Mitteln, mit denen jemand in einer Hierarchie aufsteigt und zur Macht gelangt, und jenen Mitteln, mit denen sich jemand an der Macht hält. Dass die sich letztlich gegenseitig hintergehen und bedenkenlos einschüchtern, foltern und meucheln, erstaunt deshalb nicht.

In der Konsequenz dabei ein höchst naives Modell des Marktes. Galt, Rearden, Halley und die anderen Kreativen sind verständlicherweise stolz auf ihre Schöpfungen und verlangen als Entschädigung für ihre jahrelange Hingabe, ihre Mühen und ihr Risiko einen konkreten Preis, der sich in einer Währung beziffern lässt. Bevor sie ihre Werke verschenken oder unter Wert hergeben, lassen sie die Geschäfte scheitern und ziehen sich zurück. Sie fürchten keine Konkurrenz, verabscheuen Verbände und den Staat, zudem betrachten sie ihr Produkt als ihr Monopol auf Lebenszeit. Wer sich ein wenig in der Wissenschaftsgeschichte auskennt, weiß, das zahlreiche Erfindungen zeitgleich unabhängig voneinander entwickelt wurden; die Entdeckung der Differentialrechnung durch Leibniz und Newton dürfte wohl das prominenteste Beispiel sein, bei dem Spionage nicht zur Debatte steht. Solche Fälle kennt Rands Ideologie nicht; stattdessen werden die Erfindungen außerhalb der USA durch den Piraten Danneskjöld zerstört – ein aggressiver Protektionismus und ein Wirtschaftskrieg mit privaten Mitteln.

Der reale Markt akzeptiert beileibe bahnbrechende Erfindungen keineswegs so einfach, wie sich Rand das ausmalt. Die Konstruktionspläne des Drei-Liter-Autos liegen seit dreißig Jahren in Tresoren, während mittlerweile Hummers und Sport Utility Vehicles (SUVs) den kostbaren Sprit literweise schlucken. Ein perfektes Produkt wäre in letzter Konsequenz der Tod einer Industriebranche, für das Der Mann im weißen Anzug im gleichnamigen britischen Spielfilm (Großbritannien 1951, Regie: Alexander Mackendrick) mit Sir Alec Guinness als Chemiker das beste Beispiel liefert. Dort wäre der Erfinder einer unzerstörbaren Textilie nämlich von einer Allianz aus den Fabrikbesitzern und den Gewerkschaftern gelyncht worden, falls sich der Stoff nicht im letzten Moment aufgelöst hätte. Im realen Markt benötigen Erfindungen einen langen Atem, um sich durchzusetzen, und bewegen sich zunächst unterhalb einer Schwelle, in der sie als Marktsegment ernstgenommen werden. Eben weil sie eine geraume Weile bloß als Spinnereien und Spielzeug für große Kinder angesehen werden, können sie allmählich in die Gesellschaft diffundieren. Sobald sich ein Markt etabliert hat, setzt ein Konkurrenzkampf ein, der mit verschiedenen Mitteln umgesetzt werden kann.

Einerseits kann der Preis unterboten werden, häufig mit Dumpingspiralen gegen die Arbeiter und Angestellten der eigenen Firma oder Zulieferer; andererseits kann das Produkt modifiziert werden. Unternehmer werden sich jedoch hüten, revolutionäre Neuerungen auf den Markt zu bringen, solange sie ihre alten Maschinen noch nutzen können und die Konkurrenz ihr Produkt nicht ihrerseits verbessert hat. Der Konsument muss sich schließlich mit dem begnügen, was ihm in den Geschäften angeboten wird. Jede Änderung der Kalkulation, jede technische Innovation bedeutet nämlich zunächst einmal einen riskanten Einsatz von Kapital, der sich möglichst rasch bezahlt machen soll. Deshalb muss der Unternehmer, der in der Regel eben kein Erfinder ist wie bei Rand, durch die Konkurrenz dazu gezwungen werden, sich den neuen Umständen anzupassen. Der IT-Markt der letzten dreißig Jahre bietet dafür das beste Beispiel, bei dem sich von Microsoft bis zu Google, Apple und Amazon neue Unternehmen in den blinden Flecken der alten Betriebe entwickelt haben, bis die etablierten Firmen (angefangen bei IBM) diese Erfolge nicht mehr verdrängen konnten. Wenn sich die Marktgängigkeit in Businessplänen beweisen lässt, ist es längst zu spät, denn dann ist die Pionierphase mit exorbitanten Gewinnspannen vorbei und der Konkurrenzkampf hat längst eingesetzt.

Britta Madeleine Woitschig (10/12)

Erster Teil: Sockenpuppen aus Granit

Die Bücher:

Ayn Rand: Atlas Shrugged (50th Anniversary Edition), New York: The Penguin Group 1996 (erstmals veröffentlicht 1957), 37. Auflage, 1080 Seiten, ISBN 978-0-451-19114-4, 9,99 $ (US), entspricht 8,52 €

Ayn Rand: Der Streik, München: Kai M. John 2012, gebundene Fassung 39,90 €, eBook 14,99 €

Die Filme:

Atlas Shrugged: Part I, USA 2011, Regie: Paul Johansson, 102 min, mit Taylor Schilling (Dagny Taggart), Grant Bowler (Henry „Hank“ Rearden), Matthew Marsden (James Taggart), Michael O'Keefe (Hugh Akston), Paul Johansson (John Galt)

Atlas Shrugged: Part II, USA 2012, Regie: John Putch, 112 min, mit Samantha Mathis (Dagny Taggart), Jason Berghe (Henry „Hank“ Rearden), Patrick Fabian (James Taggart), D.B. Sweeney (John Galt)

verlag-kai-john.com

www.atlasshruggedmovie.com/

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel 

amazon

 

WEITERLESEN: AYN RAND: TEIL ZWEI