30. Oktober 2012

Frankensteins Erben

 

Den immer noch ausstehenden Fortschritt, so viel ist mal klar, erwarten wir nicht länger auf dem Feld des Politischen. Dort ist zu viel nicht passiert. Längst herrscht der Generalverdacht gegen den guten alten gesellschaftlichen Fortschritt, wir haben uns auf Schadensbegrenzung eingestellt. Der Kultur geht es nicht besser. Vom evolutionären Leithammel mutierte sie innerhalb zweier Jahrhunderte zum fremdfinanzierten Spektakel. Das kann immer noch Spaß machen, aber die große Spannung ist doch raus. Gerade wird die Wirtschaft abgewickelt, allerdings gibt es hier noch nostalgische Momente zu verzeichnen, die Bewusstseine haben sich noch nicht endgültig mit dem status quo abgefunden.

 

Wie schön, sollte man meinen, dass es da noch die Wissenschaft gibt, die ihren bloß deskriptiven Job längst an den Nagel gehängt hat, um zu retten, was noch zu retten ist, oder, weniger pessimistisch, vielleicht eine neue Perspektive aufzutun, die so neu gar nicht sein mag, aber endlich mal die geeigneten Mittel an die Hand gibt. Leider reagiert man in Deutschland auf den biologischen Fortschritt immer noch sehr empfindlich, und vielleicht trägt die Stadt, in der Barbara Kirchners Thriller spielt, deshalb einen Namen, Borbruck, den man in Atlanten vergebens suchen wird. Denn dort finden Dinge statt, die wirklich unerhört sind. Der Roman trägt dem Gedanken Rechnung, dass menschliche Bedürfnisse sich auch dort und dann artikulieren, wenn zum Beispiel die zehn Gebote oder das Grundgesetz nicht mehr weiter wissen. Es gibt Nachfragen, für deren Befriedigung auch vor zwei Jahren kein Masterplan fettes Geld hätte locker machen können.

Die verbesserte Frau ist ein solchen extravaganten Bedürfnissen nachgehendes Projekt eines obskuren wissenschaftlichen Instituts, das sich längst von dem zeitverschlingenden Procedere der Drittmittelvergabe verabschiedet hat und sich direkt an den Kunden wendet, der das haben möchte, was die Natur so nicht vorgesehen hat. Die Verbesserung der Frau zielt darauf ab, dass nicht länger Schmerz empfunden wird, wo Schmerz oder Angst erzeugt wird, sondern im Gegenteil Lust. Das hat den immensen Vorteil, dass die vermutlich vor allem männliche Kundschaft nicht länger der metallischen Härte von Olympias ausgeliefert ist, sondern herrschen darf über das geile und geil machende nackte Leben. Da es das Beate-Uhse-Imperium so weit nicht gebracht hat, gibt es eben in Borbruck das auf Teufel komm raus forschende Institut von „Guten Weißen Berg“, an dem die skrupellose crème de la crème der Neurobiologie sich für die Verbesserung von Frau (und Mann) stark macht. Schlimme Dinge geschehen, junge, gut aussehende Frauen werden entführt und – behandelt. Wolfgang Arndt, seines Zeichens Doppeldoktor, entwickelt einen viel versprechenden „Prototyp“, der nichts zu wünschen übrig lassen soll.

 

Aber da gibt es zum Glück noch die gerade etwas orientierungslose Bettina Ritter, die ihrem Nachnamen alle Ehre macht und sich auf die große Fahrt begibt, den Bösen das Handwerk zu legen. Dabei muss sie sich gar nicht mal so viel bewegen, denn bald ist auch ihre WG Schauplatz grauenhafter Verbrechen. Bettina kämpft tapfer als Lesbe, und sie nimmt es sogar mit der zwielichtigen Ursula Olim auf, in die sie sich verliebt, und die nicht nur brave Dozentin an der Uni ist, sondern auch am Guten Weißen Berg arbeitet. Leichen pflastern nicht nur Bettinas Weg, und zuletzt kann sie froh sein, in der Solidargemeinschaft der lesbischen Mittwochsgesellschaft aufgehoben zu sein. Über diese schöne alte Gruppentugend vergisst man fast die allzumenschlichen Sabotageakte innerhalb des Instituts, denen der Prototyp zum Opfer fällt, und man ahnt, dass auch die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts sich über kurz oder lang in den Reigen der abstrakten Ordnungen einreihen wird, die das Blaue vom Himmel versprechen und doch nur den Abgrund freilegen, aus dem sie sich selbst katapultieren wollten. Der Roman ist manchmal ein bisschen zu genremäßig, aber egal, gute Unterhaltung, und bestimmt auch mehr als eine Vorstudie zu Schwester Mitternacht, dem einigermaßen theorielastigen Nachfolgeroman von Barbara Kirchner, Koautor: Dietmar Dath, der auch bei der verbesserten Frau Pate gestanden hat.

 

Zehn Jahre nach der Erstauflage erscheint dieser Roman jetzt, im selben Verlag, in einer Neuausgabe. Die Überarbeitung beschränkt sich auf Design (Cover) und Typografie, ein paar französische Absätze wurden eliminiert, Daniela Burgers Covergrafik ist nun, vergrößert, auf Seite sechs zu sehen. Das Wichtigste: Dieses Buch gehört nun ganz Barbara Kirchner. Die bereichsspezifischen Katalysatoren für diesen Roman sind sämtlich gekappt. Das geht völlig in Ordnung. In einer Ersten Auflage der Überarbeitung der überarbeiteten Neuausgabe kann schließlich der Fehler auf der Rückseite des Covers beseitigt werden.

 

Dieter Wenk (11-02/10-12)

 

Barbara Kirchner, Die verbesserte Frau. Roman. Erste Auflage der überarbeiteten Neuausgabe, Verbrecher Verlag 2012

Cohen+Dobernigg

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