21. August 2012

Die Heimat der Bilder

 

Dieses Buch, in großen Teilen 1946/47 geschrieben, aber erst 1970 in englischer Sprache veröffentlicht, kam in deutscher Übersetzung 1981 heraus.Es ist keine klassische Biografie über den Hamburger Privatgelehrten Aby Warburg (1866-1929), und so nennt sie denn der Biograf ganz richtig eine „intellektuelle“. Was war das Projekt dieses Mannes, auf den sich heute gerne Kultur- und Bildwissenschaften beziehen? War er seiner Zeit voraus? Oder war er auch nur ein Kind seiner Zeit, tief verstrickt in das Bildungsgut des 19. Jahrhunderts?

 

Man würde ihm nicht gerecht werden, ihn als modern zu bezeichnen, bloß weil er dem Evolutionismus seiner Zeit sympathisch gegenüber stand. Er ist aber auch kein Reaktionär, weil er den Blick nach rückwärts wendet, die Antike als konkurrenzlose Referenz begreifend. Als Fortschrittsgläubiger war er Humanist, aber seine Maßstäbe holte er nicht aus einer idealisierten Zukunft: Er stellte „nie die überkommenen Wertmaßstäbe in Frage, die auch schon der Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts eigen waren.“ Was zeichnete ihn dann aus? Vielleicht eine Obsession. Er hat auf seine Art die „querelle des anciens et modernes“ ausgefochten. Und wenn man weiß, dass es ihm um das „Nachleben der Antike“ ging, genauer gesagt  um die Unabwendbarkeit ihrer „Ausdrucksformen“, in welcher Verkleidung auch immer, dann ist klar, dass er all dem, was auf die Antike folgte, kein emanzipatives Potenzial mit auf den Weg geben konnte. Nur dass er die Antike schon anders verstand als zum Beispiel ein Winckelmann. Die „stille Größe“ unterschlug das entscheidende energetische Moment, das in gebändigter Form erst zu einer klassischen Form des Ausgleichs führen konnte. Die Antike sei denkbar weit entfernt von so etwas wie moderner Unmittelbarkeit, davon war Warburg fest überzeugt: In seiner typischen Art des sicheren Balancierens über dem weiten Zeitabgrund nennt Warburg die neuen Übeltäter beim alten Namen:

 

„Der moderne Prometheus und der moderne Ikarus, Franklin und die Gebrüder Wright, die das lenkbare Luftschiff erfunden haben, sind eben jene verhängnisvollen Ferngefühl-Zerstörer, die den Erdball wieder ins Chaos zurückzuführen drohen. Telegramm und Telephon zerstören den Kosmos. Das mythische und symbolische Denken schaffen im Kampf um die vergeistigte Verknüpfung zwischen Menschen und Umwelt den Raum als Andachtsraum oder Denkraum, den die elektrische Augenblicksverbindung raubt, falls nicht eine disziplinierte Humanität die Hemmung des Gewissens wieder einstellt.“

 

Warburg ist kein Kunstgeschichtler in dem Sinn, dass er etwa Stilgeschichte betreibt oder Forschungsdefizite behebt. Er ist ein Moralist ersten Ranges. Bilder und Texte interessieren ihn nur insofern, als sie auf etwas Bestimmtes zurückzuweisen imstande sind. Und dieses Bestimmte liegt in der Antike, diese habe bereits alle Formen und Formeln gefunden und entwickelt und gebändigt, dass spätere Zeiten ihr ganzes Interesse nur noch darauf legen konnten, die gelungenen Bilder wieder einzuholen, aber ganz undialektisch. Die Kunstwerke und Dokumente tarierten diese Formen immer wieder nur neu aus. Der Ausgleich sei immer aufs Neue gefährdet und Humanität kein Zustand, sondern ein fragiles Gleichgewicht.

 

Aby Warburg wollte sein Forschungsvorhaben krönen mit einem Bilderatlas, der unter dem Titel „Mnemosyne“ bekannt geworden ist, von dem man aber nicht weiß, wie er hätte aussehen sollen, ob er hätte publiziert werden können. Die Last des Beweises sollten die Bilder tragen, Bilder von der Antike, der Renaissance, aber auch Bilder aus den „Modernen Zeiten“. Was hätte man erkannt? Es gibt kein Entkommen aus dem Anfang. Noch jede Briefmarke beziehe sich in ihrem Ausdruckswert auf etwas, was es so schon bei den Alten gegeben habe. Es ist dem Charme des Biografen zu danken, dieses größenwahnsinnige Projekt nicht von Anfang an der Lächerlichkeit preiszugeben oder es mit dem Wahn kurzzuschließen, der in einer Phase im Leben des Aby Warburg von diesem Besitz ergriff.

 

Gombrich beginnt ganz im Partikularen, das man je nach Kenntnisstand mit mehr oder weniger Interesse verfolgen mag, und zieht dann, ein bisschen wie ein Zauberkünstler, die verschiedenen Fäden zusammen, die dann für einen Moment zumindest dieses enorme Projekt durchaus plausibel erscheinen lassen. Ein wahrlich pathetisches Unterfangen. Und Warburg ist ein echter Bildpathetiker, denn er glaubt die Zeichen und Figuren – darin echtes 19. Jahrhundert – energetisch aufgeladen, die nur darauf warteten, entsprechend weitergetragen zu werden. Man kann sich also tatsächlich an einem Bild die Finger verbrennen. Und jedes Bild sei die exakte Formation eines psychologischen Zustands. Im Grunde betreibt Warburg zeitliche Tiefenpsychologie. Mnemosyne oder die Projektion in die Vergangenheit.

 

Das letzte Kapitel dieser „Biografie“ stammt von Fritz Saxl, einem Assistenten von Warburg. Es geht um die Bibliothek Warburgs. Wie viel Bände zählte sie 1929? 20.000? Sie muss damals mehr Privatbibliothek als Forschungszentrum gewesen sein, immer wieder neu zusammengestellt aus Gründen, die der jeweilige Schwerpunkt der Forschung diktierte. Grandios, und fatal. Im Jahr 1933 wurde die Bibliothek in 600 Bücherkisten nach London transferiert. Das Warburg Institut wurde 1944 der University of London eingegliedert.

 

Dieter Wenk (8-12)

 

Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, Philo Fine Arts 2012, Fundus 212

http://isbn.codobuch.de/?3865726801

 

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