11. Dezember 2003

Die Fußstellung des Ägypters

 

Gleich im ersten Satz schränkt Gombrich den geltungsschweren bestimmten Artikel wieder ein, aber nicht den, der die Geschichte betrifft, sondern den der Kunst. Insofern liegt er auf einer Linie mit Regis Debray, der sich vehement gegen die Vorstellung der einen Kunst wendet. Aber während Debray behauptet, dass es für heutige Kunst nicht mehr viel zu tun gibt, weil sie in der heutigen Zeit der Videosphäre auf taube Ohren stößt, besteht das Problem für Gombrich eher darin, dass man als Zeitgenosse nie so recht weiß, was denn gute Kunst sei und was nicht. Und doch sind Debray und Gombrich gar nicht so weit voneinander entfernt, denn auch Gombrich wüsste wohl nicht recht zu sagen, an welcher Problemlösung heutige Kunst oder die heutigen Künstler laborieren würden. Denn genau diese Härte hat ja überhaupt die Möglichkeit bereit gestellt, zuletzt moderne Kunst und damit eine Kunst, die sich immanent an ihren eigenen Problemen abarbeitet, von einer zu trennen, die nur so weiter macht.

Ein Blick auf die Chronik am Ende des Buchs bestätigt, mit welcher Beschleunigung und beginnenden Gleichzeitigkeit die Kunst und ihre Produzenten zu tun haben. Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo auch die kompromissloseste Verfolgung der adornitischen immanenten Konstruktion am Material keinen Sinn mehr ergibt. Das lässt sich sehr gut an der Musik zeigen, weil hören, weil als Laie eben nicht mehr hören, da dieser nicht mehr weiß, was da genau einen Unterschied macht. Es gibt einfach keine Referenz mehr. Und genau das passiert in der Zeit nach der Moderne, es ist der Punkt, wo die Moderne sich verläuft und etwas anderes anfängt. Die Durchschneidung des gordischen Knotens in allen Bereichen, in der Kunst, in der Literatur, in der Musik.

Gombrich hat eine Ahnung davon, dass die Moderne keine bloße Possenspielerei ist, und auch nicht die Zeit danach, die sich irgendwie damit arrangieren muss, dass das autonome Künstlersubjekt nicht mehr das Sagen hat. Aber Gombrich bleibt im System Kunst selbst. Debray schaut, was woanders vielleicht Ablösungsfunktionen übernimmt, und das ist der ganze Unterhaltungssektor, in den die Kunst, ohne dass sie das will oder ohne dass sie etwas dagegen tun kann, hineinintegriert wird. Sie wird jetzt als etwas gesehen, was sie nicht mehr ist. Und sie ist nicht mehr kontemplative Kunst innerhalb einer auratischen Begegnung, auch wenn dies hier und da noch vorkommt, sondern sie ist Teil des Spektakels, das sie mit unterstützt. Aber diese Unterstützung braucht das Spektakel nicht, da hier nichts mehr gesehen wird, sondern alles eine Funktion des Feelings ist, des Sounds, und selbst dem Spektakel also eine neue Qualität zugeschrieben wird, die es der Welt der Blendung entreißt. Mit diesem Scherbenhaufen vor Augen ist es tatsächlich nicht größenwahnsinnig gewesen, die Geschichte der Kunst schreiben zu wollen, Gombrich hat sie geschrieben, als Problemlösungsgeschichte, wo eins das andere gibt und die Bezüge so vermittelt sind, dass nichts isoliert dasteht wie das heute der Fall ist, auch wenn das nur für den hilflosen Betrachter gelten sollte, dem der Kontext erst anempfohlen werden muss, damit er klar sieht oder sieht, dass es nichts zu sehen gibt.

 

Dieter Wenk

 

E.H. Gombrich, Die Geschichte der Kunst, 16. Aufl. 1996 (1950)